Diese zwei solaren, teilautarken Mehrfamilienhäuser in Cottbus untersucht ein Team der TU Bergakademie Freiberg im Projekt Eversol. ©TU Bergakademie Freiberg - Institut für Wärmetechnik und Thermodynamik (A. Gäbler)
Diese zwei solaren, teilautarken Mehrfamilienhäuser in Cottbus untersucht ein Team der TU Bergakademie Freiberg im Projekt Eversol.

Praxistest in Mehrfamilienhäusern
Pauschalmiete schafft Anreiz für höheren Energiestandard

29.07.2022 | Aktualisiert am: 19.11.2024

Stabile Nebenkosten, garantiert für fünf Jahre: Was für viele Mieterinnen und Mieter nach einer Wunschvorstellung klingt, ist mit einer Pauschalmiete möglich. Nebenkosten für Strom und Wärme sind hier bereits enthalten. Wie sich dies umsetzen lässt, haben Forschende in Cottbus getestet.

Zwei solare, teilautarke Mehrfamilienhäuser und deren Messwerte beschäftigen Dr. Thomas Storch und sein Team von der TU Bergakademie Freiberg seit mittlerweile vier Jahren: Die privatwirtschaftlich gebauten Gebäude sind Forschungsobjekte im Projekt Eversol-MFH. In dem Vorhaben analysieren die Forschenden neben gebäudespezifischen Werten zusätzlich die thermischen und elektrischen Energieflüsse mit den Schnittstellen Haus und Quartier. Messwerte wie Stromverbrauch, solarthermischer und photovoltaischer Nutzungsgrad und Speicherladestand werden kontinuierlich erfasst und sind öffentlich zugänglich. Mit den gesammelten Monitoring-Daten kann das Gebäude-Energiemanagement verbessert und die sektorübergreifende Vernetzung im Quartier weiterentwickelt werden. Das Besondere: Die Eversol-MFH-Häuser werden mit Pauschalmiete vermietet. Hierzu zählen die Nettokaltmiete sowie die Kosten für den vorkalkulierten Bedarf an Heizwärme, Warmwasser und Strom. 

Dr. Thomas Storch, Projektleiter Eversol-MFH ©Dr. T. Storch
Dr. Thomas Storch, Projektleiter Eversol-MFH

Pauschalmiete: mehr Klimaschutz bei weniger Kosten

Warum gerade die Cottbuser Häuser gut geeignet für die Einführung einer Pauschalmiete sind, erklärt Projektleiter Storch: „Zunächst einmal sollte in einem solchen Fall der energetische Sanierungs- oder Baustandard der Gebäude gut bis sehr gut sein. Es sollte effiziente Gebäudetechnik vorhanden sein und auf regenerative Energiequellen gesetzt werden. Dies garantiert, dass die Nebenkosten in einem kalkulierbaren Rahmen bleiben und möglicherweise weitere Einsparpotenziale genutzt werden können, zum Beispiel bei CO2-Zertifikaten.“ Sprich: Ein niedriger Energieverbrauch und –bedarf kann zu höheren Einnahmen beim Vermieter beitragen. Dafür sorgt zusätzlich, dass weniger abrechnungsfähige Messstellen als bisher in dem Gebäude installiert werden müssen. Aber auch die Mieter profitieren, da sie sich über einen längeren Zeitraum (im Projekt Eversol waren es fünf Jahre) auf stabile Mieten und Nebenkosten verlassen können. Zusätzlich können sie damit aktiv zum Klimaschutz beitragen. 

Juristischer Feinschliff ist erforderlich

Die Gesetzeslage für die Pauschalmiete ist schwierig. Für eine Pauschalisierung der Wohnkosten müssen Vermieter nämlich rechtliche Voraussetzungen erfüllen: Die Heizkostenverordnung schreibt in Deutschland einerseits eine verbrauchsabhängige Abrechnung vor, andererseits gibt es Ausnahmen für Häuser, die zum Beispiel durch ihre Bauweise und Dämmung sehr wenig Wärme verbrauchen. Eine pauschale Abrechnung ist für Wärme also möglich, aber für Strom ist kein rechtlicher Rahmen definiert: Im Prinzip muss jeder Stromkunde in Deutschland einen eigenen Stromliefervertrag und Zähler haben und kann sich seinen Lieferanten selbst auswählen. Das heißt, die Versorgung mit Strom ist aus gesetzlicher Sicht nicht Aufgabe des Vermieters und somit auch nicht Bestandteil der Gesamtmiete. „Bedingung für eine breitere Einführung des Pauschalmietmodells ist eine rechtssichere, stark vereinfachte Möglichkeit von pauschalen Abrechnungen für Strom innerhalb der Wohnungswirtschaft oder für den Eigenverbrauch in Quartieren. Rechtliche und steuerliche Hürden sollten auf ein Minimum reduziert werden“, fordert Storch. Liegen alle rechtlichen Voraussetzungen für die Pauschalisierung von Wohnkostenbestandteilen vor, können die Pauschalen unterschiedlich gestaltet werden. 

Die Wahl der Variante ist abhängig von der Risikobereitschaft des Wohnungsunternehmens. Je weniger Risiko dieses bezüglich des Verbrauchs des Mieters tragen möchte, desto höher sind die Mess- und Abrechnungskosten. Die Variante 1 stellt das größte Risiko für den Vermieter dar, gleichzeitig entstehen keine/ kaum Mess- und Abrechnungskosten, die auf den Mieter umgelegt werden. Damit dies möglich ist, muss aber noch die Stromlieferung rechtssicher festgelegt werden. Die Variante 0 entspricht dem Standard-Mietmodell. Je nach Art der Messlokationen entstehen unterschiedlich hohe Messkosten.

Und was sagen die Mieterinnen und Mieter dazu?

Erste Ergebnisse der soziologischen Untersuchung mit der Wohnungswirtschaft im Projekt Eversol-MFH zeigen, dass Vermieter mit einer Pauschalmiete oft befürchten, dass Mieter mehr Energie verbrauchen und für sie unkalkulierbare Mehrkosten entstehen. Auch Mieter sind zum Teil skeptisch gegenüber einer Miete ohne Nebenkostenabrechnung für Wärme und Strom. „Die Abrechnung ist nicht mehr transparent für sie und sie sehen nicht, was sie genau verbrauchen oder ob sie bei einer Pauschalmiete den Verbrauch eines anderen Mieters mitbezahlen“, sagt Storch.
Insgesamt 34 Bewohnerinnen und Bewohner, darunter sieben Kinder, wohnten 2021 in den beiden Gebäuden in Cottbus. Sie verfügen über einen hohen Bildungsstand, sind überwiegend zwischen 30 und 49 Jahre alt sowie umwelt- und klimabewusst. Umfragen bei den Mieterinnen und Mietern zeigten, dass diese überwiegend zufrieden mit dem Mietmodell sind und den Hauptvorteil im Komfort sehen, da sie sich nicht mit einer Nebenkostenabrechnung auseinandersetzen müssen. Anfangs war das neue Mietmodell allerdings schwer nachvollziehbar. In Mietportalen war es schwer darstellbar, da gegenüber konkurrierenden Wohnungsangeboten mit Kaltmieten-Angabe die Pauschalmiete aufgrund der enthaltenen Nebenkosten höher ausfallen. Unerwartet hohe Mehrkosten sind in den Cottbuser Häusern nicht entstanden: „Wir konnten feststellen, dass die anfängliche Selbsteinschätzung zum eigenen Verbrauch später sehr gut mit den Messdaten übereinstimmte. Es macht also Sinn, zukünftige Bewohnerinnen und Bewohner sich selbst einschätzen zu lassen und vorab zu befragen“, so Storch.

Hohe Autarkiegrade bei Strom und Wärme

Die Untersuchungsgebäude in Cottbus haben je sieben Wohnungen. Sie versorgen sich zwischen 54 und 60 Prozent selbst mit Wärme und zwischen 72 und 75 Prozent selbst mit Strom. Das Messprogramm ist mit dem Mietereinzug im Januar 2019 gestartet. Im Strombereich wurden die Ertrags- und Verbrauchsprognosen gut eingehalten und die angestrebten hohen Autarkiegrade nur leicht verfehlt. Generell zeigte sich, dass die Aufstellorte der relevanten Geräte wie Wechselrichter oder Stromspeicher gut ausgewählt werden müssen, da die Lokalität deren Wirkungsgrad beziehungsweise Lebensdauer beeinflusst. Die Systemevaluierung ergab, dass sowohl die Akkus als auch die Wärmespeicher kleiner dimensioniert werden könnten. So sanken etwa die Ladestände der Akkus in der einstrahlungsreichen Jahreszeit zwischen April bis Oktober kaum unter 40 %. Hingegen lag in der einstrahlungsarmen Zeit selten eine Vollladung vor. Dennoch werden nur durch eine Integration der Akkus hohe Autarkiegrade ermöglicht.

Im Wärmebereich gab es unerwartet einen sehr hohen Verbrauch. Einerseits wurde gegenüber den Vorplanungen die Wohnraumaufteilung von sechs auf sieben Wohneinheiten geändert, wodurch ein Mehrverbrauch zu erwarten ist. Andererseits gab es fehlerhafte Systemeinstellungen, höhere durchschnittliche Wohnraumtemperaturen als nach Normen für die Berechnung des Energieausweises vorgesehen sind. Zusätzlich zeigte das System größere Verluste an Wärmeenergie bei der Zirkulation und vom Speicher.

 

Vernetzung schafft mehr CO2-arme Energieversorgung

Die Überschüsse an Wärme und Strom der beiden Mehrfamilienhäuser „fließen“ zumindest anteilig in angrenzende Gebäude. „Im Strom- und Wärmebereich ist eine Vernetzung im Quartier als Direktverbrauch sinnvoll. Sofern dies außerdem nicht über das öffentliche Netz eines Energieversorgers sondern über Nahwärme- oder Stromleitungen zum Beispiel der Wohnungsgenossenschaft läuft, ergeben sich weitere Vorteile“, erklärt Storch. Die Gründe: Es entstehen dann keine zusätzlichen Steuern und Gebühren vom Netzbetreiber für die Durchleitung des Stroms. Außerdem werden rechtliche Probleme vermieden, wenn die Grundstücksgrenzen eingehalten werden. Die dafür notwendige Infrastruktur muss natürlich auch entsprechend aufgebaut, betreut und gewartet werden.
Sind die erforderlichen Rahmenbedingungen erfüllt, bietet eine Vernetzung mehrerer Gebäude viele Vorteile:

  • Solare Mehrerträge der Photovoltaik-Anlagen werden nicht (teuer) zwischengespeichert oder eingespeist, sondern direkt genutzt, wodurch eine direkte Kostenersparnis gegenüber Netzbezug auftritt.
  • Die zur Verfügung gestellten Mehrerträge können den erzeugenden Gebäuden als Gutschrift berechnet werden. Somit erhöht sich der wirtschaftliche Erfolg des neuen Hauskonzeptes.
  • CO2 wird eingespart, da weniger Energie aus anderen Quellen erforderlich ist.
  • Vor allem in eng bebauten Siedlungen können auch Gebäude, bei denen es nicht die Möglichkeit gibt, solare Kollektoren zu installieren (zum Beispiel wegen fehlender, geeigneter Flächen) regenerativ mit Solarenergie versorgt werden.


"Unsere Untersuchungen haben gezeigt, dass viele Lösungen zwar technisch machbar sind, aber in der Umsetzung noch häufig von steuerlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen begrenzt werden. Es würde uns freuen, wenn wir hier zukünftig auf einfachere Strukturen treffen würden“, fasst Storch eine wichtige Erkenntnis aus dem Projekt Eversol-MFH zusammen. Ziel des Forschungsvorhabens war es auch, die rechtliche und technische Machbarkeit zu prüfen. Die hier gewonnenen Erkenntnisse tragen mit dazu bei, solche und ähnliche Projekte zukünftig noch praxisnäher und einfacher umsetzen zu können. (bs)