Passivhaus-Standard und Mietermotivation
Nebenkosten im sozialen Wohnungsbau reduzieren
Steigen die Energiepreise, erhöhen sich die Nebenkosten. Besonders für Haushalte mit niedrigem Einkommen ist dies problematisch. Ein Projekt in Darmstadt zeigt, wie neben Effizienzmaßnahmen am Gebäude auch die Motivation der Mieterinnen und Mieter dazu beiträgt, den Energieverbrauch gering zu halten.
Ob Wärmedämmung, gut isolierte Leitungen oder sparsame Haushaltsgeräte: Wie erreicht man Energieeffizienz im Sozialen Wohnungsbau und bindet dabei die Nutzerinnen und Nutzer ein? Diese Frage haben Forschende im Vorhaben PassivhausSozialPlus untersucht. Dabei arbeiteten die Expertinnen und Experten vom Institut Wohnen und Umwelt (IWU) eng mit der gemeinnützige Organisation Neue Wohnraumhilfe sowie der Gesellschaft für Siedlungs- und Hochbauplanung faktor10 zusammen.
Für ihre Untersuchungen begleiteten die Projektpartner Bau, Sanierung und Betrieb von zwei nebeneinanderstehenden Gebäuden auf einem ehemaligen Kasernengelände in Darmstadt. Die Neue Wohnraumhilfe ließ hier einen Neubau im Passivhaus-Standard errichten sowie ein Bestandsgebäude aus den 1950er Jahren mit Passivhaus-Komponenten modernisieren. Insgesamt entstanden so 42 Wohnungen im geförderten Wohnungsbau für Menschen mit Zugangsschwierigkeiten zum Wohnungsmarkt.
Verteilverluste im Mehrfamilienhaus geringhalten
Durch die Effizienzmaßnahmen verfügen beide Gebäude über einen sehr hohen Wärmeschutz-Standard, der Heizwärmebedarf im Mittel beider Gebäude ist mit 13,0 kWh/(m2*a) relativ niedrig. Eine wichtige Stellschraube ist in diesem Fall noch die Warmwasserbereitung – die laut Projektleiter Marc Großklos vom IWU rund die Hälfte des Wärmebedarfs im Passivhaus ausmacht. Hier spielen die Energieverluste bei der Verteilung der Wärme im Mehrfamilienhaus eine wichtige Rolle - je kürzer die Verteilwege, umso besser. „Für die Trinkwassererwärmung besitzen daher alle Wohnungen Frischwasserstationen, in denen das benötigte Wasser in der Wohnung vor Ort erwärmt wird. Dadurch kann der Energieaufwand für die hygienische Warmwasserbereitung reduziert werden, da die Vorlauftemperaturen bei lediglich 50 Grad Celsius liegen“, so Großklos. Außerdem installierten die Projektpartner eine Leitungsdämmung, die weit über dem üblichen Standard liegt. So können Verluste beim Transport der Wärme minimal gehalten werden.
Displays in Wohnungen animieren zum Energiesparen
Neben technischen Maßnahmen untersuchten die Forschenden auch, wie sich die Abrechnung der Nebenkosten auf den Energieverbrauch auswirkt. Anders als üblich, rechnete der Vermieter im Vorhaben PassivhausSozialPlus Heizung und Trinkwassererwärmung mit einem pauschalen Monatsbetrag ab. Für Trinkwasser- und Stromverbrauch erhielten die Mieterinnen und Mieter ein festes finanzielles Budget, das den Bedarf bei sparsamen Verhalten abdeckt. Der Vorteil: Die Mieterinnen und Mieter können sich auf gleichbleibende Kosten einstellen.
Über Displays in den Wohnungen können sie sich über den aktuellen Stand ihres Budgets sowie ihren Energieverbrauch informieren. Außerdem werden historische Werte sowie eine Hochrechnung bis zum Jahresende und eine Prognose der zu erwartenden Kosten bei gleichbleibendem Verbrauch angezeigt. Diese Rückmeldungen sollen die Mieterinnen und Mieter zu energiesparendem Verhalten motivieren. Wer einen Verbrauch oberhalb des Budgets hat, muss zusätzliches Guthaben erwerben, was bei Personen, die Transferleistungen erhalten, bei Trinkwasser oft mit einem Antrag beim Jobcenter einhergeht, bei Haushaltsstrom müssen die Mieter die Mehrkosten aus ihrer Grundsicherung vollständig alleine begleichen. Die pauschale Abrechnung und die Verbrauchstransparenz können dabei helfen, diesen Mehraufwand zu vermeiden.
Das System ermöglicht es dem Vermieter grundsätzlich, Wasser oder Strom automatisch abzuschalten, wenn ein Budget überschritten ist und keine zusätzlichen Verbrauchsmengen geordert wurden. Gleichzeitig sind aber der Weiterbetrieb des Kühlschranks und eine minimale Trinkwassermenge sichergestellt. Die Neue Wohnraumhilfe verzichtet aber auf die Möglichkeit der Abschaltung und führt stattdessen bei Überschreitung der Budgets mit den Mietenden Gespräche zur Reduktion des Verbrauchs oder über Ratenzahlungen durch.
Hohe Akzeptanz bei Mietenden
In den 42 Wohnungen erfassten die Forschenden zwischen Oktober 2019 und August 2022 die Verbrauchsdaten für Wasser- und Stromverbrauch und verglichen diese mit den vorab angesetzten Budgets. Im Mittel aller Wohnungen wird im Jahr 2020 das Gesamtbudget für den Wasserverbrauch um drei Prozent überschritten, im Jahr 2021 liegt die Überschreitung bei acht Prozent. Die Budgets für den Stromverbrauch wurden nachträglich erhöht, da diese durchschnittlich um 13 Prozent (2020) und 20 Prozent (2021) überschritten wurden. Trotzdem liegt der gemessene Verbrauch immer noch 51 Prozent unter dem mittleren Haushaltsstromverbrauch in Deutschland bei einer vergleichbaren Haushaltsgröße.
So beurteilen die Mietenden die Wohnungsdisplays und schätzen die Häufigkeit der Nutzung ein. © IWU
Eine Befragung der Bewohnerinnen und Bewohner zeigte, dass das Display oft fest in den Alltag der Interviewten integriert ist: Deutlich mehr als die Hälfte der Befragten schaut täglich auf das bislang verbrauchte Budget oder die Prognosen zum Jahresende. Das Konzept wird von den Mieterinnen und Mieter überwiegend gut bis sehr gut bewertet wird. Die Displays motivieren einen Teil der Mieter auch zu sparsamem Verhalten.
Kombination verschiedener Maßnahmen führt zu Energieeinsparung
Die Nebenkosten der Gebäude in PassivhausSozialPlus liegen etwa 40 Prozent unter denen vergleichbarer Wohnungen im sozialen Wohnungsbau in Darmstadt. „Die Projektergebnisse zeigen, dass hier mit vergleichsweise niedrigen Baukosten Gebäude mit einem hohen Komfort und gleichzeitig niedrigen Verbräuchen bei Heizwärme, Trinkwasser und Haushaltsstrom möglich sind“, so Großklos. „Um die Nebenkosten niedrig zu halten, ist die Kombination aus verschiedenen Faktoren erforderlich: Neben Maßnahmen am Gebäude selber, zählen dazu zum Beispiel das Vorinstallieren von stromsparenden Geräten, von wassersparenden Armaturen sowie das Anbringen von LED-Beleuchtung.“ Den Strom- und Wasserverbrauch für die Mieterinnen und Mieter regelmäßig zu dokumentieren, hält Großklos, auch außerhalb des sozialen Wohnungsbaus für sinnvoll: „Für Nutzerinnen und Nutzer, deren Nebenkosten nicht übernommen werden, ist ein solches Modell sogar noch attraktiver.“ (bs)