Viele Bürger wünschen sich, dass Stromleitungen nicht sichtbar sind. In manchen Fällen funktioniert es, neue Trassen als Erdkabel zu verlegen –genau wie bei Freileitungen hat dies Vor-und Nachteile (Symbolbild). © Countrypixel – stock.adobe.com
Viele Bürger wünschen sich, dass Stromleitungen nicht sichtbar sind. In manchen Fällen funktioniert es, neue Trassen als Erdkabel zu verlegen –genau wie bei Freileitungen hat dies Vor-und Nachteile (Symbolbild).

Projekt Dialogbrücken
Wieso Kommunen die entscheidende Rolle beim Netzausbau spielen

21.06.2022 | Aktualisiert am: 15.11.2024

Ob die Energiewende gelingt, hängt in großem Maß vom Ausbau der Übertragungsnetze ab. Obwohl er für die überregionale Energieversorgung bedeutsam ist, lässt er für viele Menschen wenig lokalen Nutzen erkennen. Die Rolle der Kommunen als Schlüsselakteur in diesem Spannungsfeld ist bislang wenig erforscht. Einen wichtigen Schritt haben deshalb die Projektpartner getan, indem sie analysiert haben, ob Kommunen eher vermitteln, protestieren oder mitgestalten und wie ihre Rolle als Dialogbrücken gestärkt werden könnte.

Der mit der Energiewende verbundene (Aus-)Bau der notwendigen neuen Infrastrukturen greift unmittelbar in kommunale Räume ein – indem sich das Landschaftsbild verändert, räumliche Entwicklung begrenzt wird (zum Beispiel von Gewerbe- oder Wohngebieten) oder indem Unsicherheitsfaktoren entstehen, etwa, weil Menschen Auswirkungen auf ihre Gesundheit befürchten.

In Kommunen wird sich daher entscheiden, ob dieser Teil der Energiewende gelingt. Denn Windräder oder Stromtrassen zu bauen, polarisiert vielerorts die Bürgerinnen und Bürger. Viele Städte, Gemeinden und Landkreise geraten deshalb im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung zum Netzausbau in ein Spannungsfeld: Sie sind angehalten, ihren Beitrag zu einer nationalen Planung zu leisten, müssen jedoch häufig mit vehementen Protesten vor Ort umgehen.

Ein Kran zieht einen Teil eines Masts in die Höhe. © Gundolf Renze – stock-adobe.com
Montage eines Strommasts: Die Infrastruktur der Energiewende verändert das Landschaftsbild (Symbolbild).

Erschwerend kommt hinzu, dass vor allem kleine Städte und Gemeinden in ländlichen Regionen vom Netzausbau betroffen sind. Sie haben sehr kleine Verwaltungen und ehrenamtliche BürgermeisterInnen. Zwar versuchen sie zwischen den unterschiedlichen Interessen zu vermitteln.

Die Befragung ergab, dass ihren Verwaltungen aber sowohl die notwendigen Ressourcen und Qualifikationen als auch die Routinen fehlen, um sich aktiv in die Öffentlichkeitsbeteiligung einbringen und diese unterstützen zu können.

Ohne Netzausbau keine Energiewende

Besondere Bedeutsamkeit hat der Forschungsansatz des Vorhabens deswegen, weil der Ausbau der Übertragungsnetze der sogenannte Flaschenhals der Energiewende ist. Häufig führt diese Engstelle dazu, dass erneuerbare Energien nicht umfassend ausgebaut und in den Markt integriert werden. Da die Risiken und Lasten des Leitungsausbaus auf der räumlichen Ebene der Kommunen sichtbar werden – hier zeigen sich unmittelbare Betroffenheiten, direkter Widerstand und Prostest – wird eine erfolgreiche Energiewende maßgeblich davon abhängen, ob und inwieweit es gelingt, in den Kommunen tragfähige Lösungen zwischen den Interessen vor Ort zu verhandeln.

Die Analysen konkreter Planungsfälle haben gezeigt, dass kommunale Akteure stark beeinflussen, wie Diskussions- und Aushandlungsverfahren vor Ort ablaufen, Lösungen gefunden und Konflikte eingehegt werden oder eskalieren. In Bezug auf Lösungen ist entscheidend, welche Rolle „die Kommune“ in diesem Prozess einnimmt: Ist sie eine Vermittlerin zwischen lokalen Interessen der BürgerInnen sowie nationalen Interessen der Energiewende? Ist sie eher Sprachrohr der lokalen Betroffenheit? Oder verweigert sie sich gar einer aktiven Rolle und lässt Konflikte vor Ort laufen?

Beteiligungsverfahren in Norddeutschland untersucht

Menschen marschieren und halten Plakaten hoch (Demonstration). © Photocreatief – stock.adobe.com
Wegen des Abstands zu Wohnhäusern, aus Sorge vor elektromagentischen Feldern oder aus ästhetischen Gründen: Vielerorts demonstrieren Bürger gegen den Bau von Stromtrassen (Symbolbild).

Mithilfe von Fallstudien in Schleswig-Holstein und Niedersachsen (Westküstenleitung und „Wahle-Mecklar“) und einer repräsentativen Befragung untersuchten und bewerteten die Projektpartner die Rolle der Kommunen schrittweise.

Wie das Team herausfand, fühlen sich betroffene Kommunen einerseits überfordert, ihre Interessen in den komplexen Planungsprozess frühzeitig einzubringen. Andererseits werden diese kleinen Gemeinden von den vorhandenen Anspracheformen oft unzureichend und meistens zu spät erreicht. So konnten die Fachleute ermitteln, dass 40 Prozent der kleinen Gemeinden mit weniger als 1.000 EinwohnerInnen erstmals im Rahmen der Planfeststellung davon erfahren, dass sie vom Netzausbau betroffen sind. Zu diesem Zeitpunkt können sie Planungsspielräume oftmals nicht mehr nutzen. Die entstehenden Konflikte verzögern die Planungen und deren Umsetzung – dabei wären sie vermeidbar gewesen, wenn die Kommunen frühzeitig und qualifiziert eingebunden worden wären.

Ein weiteres Ergebnis ist, dass die Akzeptanz des Netzausbaus sinkt, wenn Regionen mehrfach belastet sind. Wie die Expertinnen und Experten herausarbeiteten, fühlen sich KommunalvertreterInnen betroffener Regionen immer wieder ungerecht behandelt und wünschen sich einen grundsätzlichen Diskurs darüber, wie die Energiewende gestaltet und ihre Lasten verteilt werden.

Empfehlungen auf Basis der Erkenntnisse:

1. Early Birds: Kommunen aktiv und umfassend einbinden – zum frühestmöglichen Zeitpunkt

Kommunen sollten konsequent befähigt werden, sich möglichst frühzeitig mit Planungsvorhaben auseinanderzusetzen und ihre Betroffenheiten zu erkennen. Sie sollten von Beginn der Planung an in ein transparentes Kommunikations- und Beziehungsnetzwerk rund um das Vorhaben eingebunden sein.

Davon profitieren Städte und Gemeinden, die die Möglichkeit haben, als Early Birds spürbar an Gestaltungsmacht zu gewinnen. Gleichzeitig kann der Planungsprozess beschleunigt werden, weil Konflikte früher erkannt und gelöst werden können – auf Basis gegenseitigen Vertrauens.

Drei Frauen und drei Männer sitzen an einem Tisch und diskutieren (Symboldbild). © alotofpeople – stock.adobe.com
Nur wenn sich alle Interessengruppen gemeinsam an einen Tisch setzen und miteinander nach Kompromissen suchen, kann der Netzausbau zügig umgesetzt werden (Symbolbild).

2. No One Left Behind: Netzausbau als gemeinschaftliches Vorhaben

Netzausbau gelingt vor Ort, wenn die Vorhaben über alle Ebenen (Bund, Land, Kreise, Städte und Gemeinden) hinweg verantwortlich begleitet werden. Dafür bedarf es Multi-Level-Governance-Ansätze. Das Instrument der Realisierungsvereinbarung – zuerst in Schleswig-Holstein erprobt – kann hier den Weg weisen. Es macht deutlich: Netzausbau wird als Gemeinschaftsprojekt verstanden, Kommunen werden nicht allein gelassen.

3. A Sense of Fairness: Kumulierende Wirkungen von Infrastrukturvorhaben in den Kommunen stärker in den Blick nehmen

Ein zentrales Problem für die Akzeptanz des Netzausbaus stellt dar, dass bestimmter Regionen mehrfach belastet sind. KommunalvertreterInnen von betroffenen Regionen fühlen sich ungerecht behandelt und wünschen sich einen grundsätzlichen Diskurs darüber, wie die Energiewende gestaltet und ihre Lasten verteilt werden. Daneben ist auch entscheidend, ob der Ausbauprozess als solcher als fair und nachvollziehbar empfunden wird.

4. A Matter of Trust: Vertrauen durch Transparenz

Gegenseitiges Vertrauen ist eine wesentliche, aber volatile Ressource in Netzausbauprozessen. Vertrauen entsteht, wenn offen kommuniziert wird, wie Kriterien gewichtet, über bestimmte Trassenvarianten entschieden oder wie Einwendungen und Stellungnahmen berücksichtigt werden. Mangelt es darüber an Transparenz, gefährdet dies das Vertrauen und kann befördern, dass Konflikte eskalieren. Ziel einer erfolgreichen Netzausbau-Governance sollte es daher sein, Vertrauen aufzubauen und Entscheidungsgrundlagen und -Prozesse klar und deutlich zu vermitteln. (kkl)

Förderung

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz hat das Projekt Dialogbrücken im Forschungsbereich „Energiewende und Gesellschaft“ gefördert. Den Rahmen dafür bildet das 7. Energieforschungsprogramm. Hier finden Sie weitere Informationen zur Forschungsförderung.