Normen und Standards spielen beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft eine wichtige Rolle. Sie dienen als Orientierungshilfe und empfehlen, wie ein Vorhaben umgesetzt werden sollte. © Alexander Limbach - stock.adobe.com
Normen und Standards spielen beim Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft eine wichtige Rolle. Sie dienen als Orientierungshilfe und empfehlen, wie ein Vorhaben umgesetzt werden sollte.

Standardsetzung im Bereich Wasserstoff
„Prozesse vereinheitlichen, damit nicht jeder eigenen Weg finden muss“

Dr. Anna Halbig und Mario Koppers Mission Wasserstoff 2030

22.02.2023 | Aktualisiert am: 12.11.2024

DR. ANNA HALBIG UND MARIO KOPPERS IM INTERVIEW

Welche Normen und Standards sind einzuhalten, wenn eine Wasserstofftankstelle eröffnet oder ein Elektrolyseur gebaut wird? Nicht wenige Projektverantwortliche stehen bei solchen Fragen vor der Herausforderung, den Überblick zu behalten. Dr. Anna Halbig und Mario Koppers vom Projektteam Trans4ReaL möchten helfen: Sie haben für die Wasserstoffwirtschaft wesentliche Gesetze sowie die nationale und internationale Standardsetzung analysiert und zusammengefasst.

Fangen wir ganz vorne an: Was sind Normen?

Anna Halbig: Wir unterscheiden zwischen Rechtsnormen und Normen. Eine Rechtsnorm wird von demokratisch legitimierten Institutionen erlassen, ist rechtlich verbindlich und stellt Anforderungen. Technische Normen hingegen sind private Vorschriften, die von Normungsorganisationen erlassen werden. Standards als Oberbegriff privater Regelwerke umfassen zusätzlich weitere private Vorschriften von Unternehmen und Einzelpersonen. Sowohl Normen als auch Standards sind rechtlich unverbindlich, ihre Anwendung ist freiwillig.

Der Gesetzgeber macht sich Normen und Standards aber zunutze?

Halbig: Ja, durch Brücken im Gesetz, wie den sogenannten Generalklauseln. In Paragrafen wird zum Beispiel auf „den Stand der Technik“ verwiesen. Über diesen Verweis finden technische Normen rechtliche Relevanz.

Warum lagert der Gesetzgeber die Normengebung aus? Das liegt an der Sachnähe: Die technische Expertise liegt aufseiten der Unternehmen und Verbände. Ein anderer Grund ist der Faktor Zeit in Bereichen, die sich dynamisch entwickeln, wie Wasserstofftechnologien. Akteure aus der Praxis können hier flexibler und schneller auf neue Erkenntnisse reagieren, als es der vergleichsweise träge Gesetzgeber kann.

Wieso sind Normen so wichtig für den Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft?

Mario Koppers: Da geht es um die Themen Sicherheit und Qualität. Normen empfehlen den Anwendern, welche Sicherheitsregeln und Bedingungen sie bei einem bestimmten Vorhaben einzuhalten haben. Zudem verhindern Normen und Standards, dass jedes Unternehmen eigene Qualitätskriterien für Produkte festlegt. Sie sorgen somit für eine Vereinheitlichung von Produkteigenschaften, auf die sich alle Marktteilnehmer in der Anwendung verlassen können.

Ein Beispiel: Wenn Wasserstoff importiert wird, weiß man mit Blick auf die Normen, nach welchen Qualitätskriterien das Gas hergestellt wurde. Wenn ich den Wasserstoff dann weiter handeln möchte, kann ich mich auf diese Standards berufen und der Käufer weiß, was er kauft. Es ist also sehr wichtig, dass Qualitätskriterien für Wasserstoffprodukte definiert werden. Nur so wird Wasserstoff so hergestellt, dass er für die spätere Anwendung auch technisch kompatibel ist.

Normung

Im Bereich der Wasserstofftechnologie sind folgende Organisationen wesentlich für die deutsche Standardsetzung: das Deutsche Institut für Normung (DIN), der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW) und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Auf europäische Ebene ist es unter anderem das Europäische Komitee für Normung (CEN), auf internationaler Ebene die International Organization for Standardization (ISO).

In einer aktuellen Veröffentlichungsreihe haben Sie rechtliche und technische Aspekte der Wasserstoff-Normung zusammengetragen. Warum braucht es so eine Übersicht?

Koppers: Wenn wir über Wasserstofftechnologien reden, sprechen wir über neue Technologien am Markt, die noch nicht massentauglich sind. Diese müssen in das vorhandene Regelsystem eingeordnet werden. Das ist eine Herausforderung zum Beispiel für Unternehmen, die mit ihren Innovationen rechtssicher am Marktgeschehen teilnehmen möchten. Sie müssen sich mit vielen Fragen beschäftigen, mit denen sich noch kaum jemand beschäftigt hat.

Hinzu kommt, dass der Bereich Wasserstoff multidisziplinär und multimodular aufgestellt ist. Da kann man schnell den Überblick verlieren.

Halbig: Unsere Arbeit zeigt daher erstmals auf, welche privaten Standards jeweils in welchem Kontext anwendbar sind. Denn um die Marktregeln für den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur verstehen zu können, braucht es mehrere Blickwinkel. Das kann keine Person allein bewältigen. Daher haben wir uns zusammengesetzt, das Zentrum für BrennstoffzellenTechnik als technisches und die Stiftung Umweltenergierecht als juristisches Institut, um wesentliche Marktregeln einordnen zu können.

Sie schreiben: „Der Bereich Wasserstofftechnik wird international forschungsbegleitend entwickelt und entwicklungsbegleitend genormt“. Was bedeutet der Umstand für die Praxis, dass die Wasserstoffwirtschaft und die entsprechende Standardsetzung im Aufbau sind?

Koppers: Der Satz spielt darauf an, dass wir im Bereich Wasserstoff viele neue Technologien und Verfahren haben, die noch erforscht werden. Gleichzeitig sollen sie schon zu Produkten entwickelt werden, damit wir von ihnen profitieren können. Es wird also ein Normungsprozess mit dem Ziel angestoßen, dass sich die Innovationen im Markt etablieren. Wie die finale Form von bestimmten Wasserstoffanwendungen aber aussieht, ist aktuell nicht immer klar. Deshalb ändern sich auch die Standardisierungstexte beziehungsweise werden regelmäßig überarbeitet.

Ich möchte Ihnen das an zwei Beispielen veranschaulichen: Die Wasserstoffqualität wurde zu Beginn sehr konservativ genormt. Es wurden kaum Fremdstoffe im Wasserstoff zugelassen. Die Forschung hat aber über die Zeit gezeigt, welche Werte tolerierbar sind. Also wurde reagiert und die Standards angepasst. Ein anderes Beispiel zeigt, dass viele Technologien noch Gegenstand von Forschung und Entwicklung sind, etwa wenn es um sicherheitstechnische Maßnahmen geht. Bei bestehenden Erdgasnetzen ist der Geruch ein Sicherheitsmerkmal. Wasserstoff ist aber geruchslos. Daher wird geforscht, welche Geruchsstoffe dem Wasserstoff sicher zugesetzt werden können. Das zeigt, wie spannend das Feld ist: Es poppen immer wieder Themen auf, die dann ihren Weg in die Normung finden müssen. Nur so erfahren neuen Technologien Akzeptanz.

Die Vorschriften können zum Showstopper werden, wenn Sie sich im Vorfeld nicht ausreichend damit beschäftigen.
Mario Koppers, ZBT und Mitglied im Projektteam Trans4ReaL

Sie arbeiten eng mit den Fachleuten der Wasserstoff-Reallabore der Energiewende zusammen. Das sind die Orte, wo der breite Einsatz von Wasserstoffinnovationen erprobt wird. Welche Erfahrung macht die Praxis mit dem Thema Standardsetzung?

Koppers: Wir merken, dass häufig Fragezeichen da sind: Welche Regelwerke muss ich beachten? Habe ich etwas übersehen? Wer ist zuständig? Wenn Sie zum Beispiel eine Wasserstofftankstelle bauen wollen, kommt es darauf an, wie viel Wasserstoff Sie vor Ort lagern wollen. Ab drei Tonnen brauchen Sie eine andere Genehmigung. Wenn Sie weitere Schwellenwerte überschreiten, vielleicht auch weil das Geschäft gut läuft und Sie die Tankstelle ausbauen wollen, müssen Sie zusätzliche Vorschriften einhalten, etwa bis zu 200 Meter Sicherheitsabstand zu anderen Schutzzielen, wie Wohneinheiten oder Schulen. Das kann dann heißen, dass Sie sich einen neuen Standort suchen müssen. Die Vorschriften können zum Showstopper werden, wenn Sie sich im Vorfeld nicht ausreichend damit beschäftigen.

Halbig: Hinzu kommt: Dass, selbst wenn man alle technischen Normen kennt, man nicht unbedingt deren rechtliche Relevanz einschätzen kann. Das kann dazu führen, dass man Regelwerke einhält, die man aber gar nicht einhalten muss.

Ein Beispiel ist die Beimischungsquote ins Erdgasnetz: Es gibt mittlerweile verschiedene private Regelwerke, die verschiedene Prozentzahlen angeben, wie viel Wasserstoff ins Netz darf. Die Gasnetzzugangsverordnung sieht aber hinsichtlich grünem Wasserstoff nur das DVGW-Regelwerk von 2007 als verbindlich an. Rechtlich darf somit relativ wenig Wasserstoff eingespeist werden. Praktisch hat sich das fortentwickelt. Zudem gibt es inzwischen eine andere Rechtsnorm im Energiewirtschaftsgesetz, die man so verstehen kann, dass auch aktuellere, private Normen mit höheren Beimischungsquoten in Betracht kommen. Es gibt also zwei Verweise in Gesetzen, die im Widerspruch zueinanderstehen, was zur Rechtsunsicherheit beiträgt.

Wir haben viel über Schwierigkeiten gesprochen. Wie kann das Thema Standardsetzung für Wasserstoffakteure einfacher werden?

Halbig: Wir sollten festhalten, dass die Standardsetzung zwar komplex ist. Das kann man auch positiv sehen: Es bestehen zahlreiche Vorschriften, die man im Fall von Wasserstoffvorhaben anwenden kann. Das erleichtert vieles. Denn jede Regel gibt Sicherheit, dass die Planungen auf dem richtigen Weg sind.

Koppers: Wasserstofftechnologien konkurrieren mit Technologien, die seit Ewigkeiten am Markt sind. Der Wasserstoffmarkt muss sich nun konsolidieren. Dafür muss Expertise im Bereich Standardsetzung bei allen Beteiligten aufgebaut werden. Noch existieren bei Anlagenbauern, aber auch Behörden Unsicherheiten. Es geht darum, Prozesse zu vereinheitlichen, damit nicht jeder einen eigenen Weg finden muss. In Trans4ReaL begleiten wir die Wasserstoff-Reallabore, die zum Beispiel Elektrolyseure aufbauen oder Wasserstoffpipelines nutzen wollen. Wir arbeiten deren Erfahrung auf, damit es spätere Projekte einfacher haben.

Das Interview führte Eva Mühle, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.

Förderung

Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz fördert das Projekt Dialogbrücken im Forschungsbereich „Reallabore der Energiewende“. Den Rahmen dafür bildet das 7. Energieforschungsprogramm. Hier finden Sie weitere Informationen zur Forschungsförderung.