Forschungsprojekt Abwärmeatlas
Wo die ungenutzte Wärmeenergie der deutschen Industrie schlummert
Ein Forschungsteam hat industrielle Abwärme genau unter die Lupe genommen, Unternehmen befragt und Technologien analysiert. Das Ergebnis: Verstecktes Abwärmepotenzial gibt es in den unterschiedlichsten Prozessen. Und die notwendigen Technologien stehen bereits in den Startlöchern.
Hoch- und Schmelzöfen, Trocknungs- und Lüftungsanlagen, Maschinen und Motoren haben eines gemeinsam — sie alle produzieren Abwärme. Je nach Prozess fällt diese überschüssige Wärme auf verschiedenen Temperaturniveaus an und wird etwa über Abluft, Abgase oder als diffuse Strahlungswärme an die Umwelt abgegeben. Nicht nur bleibt die kostbare Wärme so ungenutzt — oft wird zusätzlich noch Energie für Lüftungssysteme, Pumpen und andere Aggregate eingesetzt, die den Wärmestrom aus einer Anlage leiten und an die Umgebung abgeben. Würde die Abwärme stattdessen wiederverwertet, könnten Unternehmen sowohl ihre Energiekosten senken, als auch CO2-Emissionen reduzieren.
Entscheidende Faktoren ermitteln und Hemmnisse abbauen
Doch Abwärme ist nicht gleich Abwärme. Faktoren wie die Temperatur, die Art der Wiederverwertung und der Zeitpunkt der Entnahme entscheiden darüber, wie viel Wärmeenergie tatsächlich genutzt werden kann. Das Abwärmepotenzial der deutschen Industrie konnte daher bisher nur näherungsweise ermittelt werden. So haben Studien (u.a. Brückner, 2016) beispielweise Abgaswerte analysiert, um Rückschlüsse auf die nutzbare Abwärme zu ziehen. Ein Forschungsteam wollte es genauer wissen und hat im Forschungsprojekt Abwärmeatlas Unternehmen verschiedener Branchen zu ihrer Abwärmenutzung befragt, Vor-Ort-Untersuchungen durchgeführt und verfügbare Technologien analysiert.
„Wir wollten herausfinden, wie viel Abwärme in der deutschen Industrie anfällt, wo diese bereits wiederverwertet wird und welche Maßnahmen und Innovation dabei helfen können, Hemmnisse bei der Abwärmenutzung zu überwinden“, erklärt Projektleiter Dr. Olaf Schäfer-Welsen vom Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik IPM. „Mit unseren Ergebnissen tragen wir dazu bei, die Abwärmenutzung in der deutschen Industrie zukünftig koordiniert und zielorientiert voranzubringen.“
Neben dem Fraunhofer IPM waren zudem das Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme (IZES) und das Institut für Demoskopie Allensbach (IfD) am Projekt beteiligt.
„Mit unseren Ergebnissen tragen wir dazu bei, die Abwärmenutzung in der deutschen Industrie zukünftig koordiniert und zielorientiert voranzubringen.“Projektleiter Dr. Olaf Schäfer-Welsen vom Fraunhofer-Institut für Physikalische Messtechnik (IPM)
Unternehmensbefragung: Ansetzen, wo die Abwärme entsteht
Um eine fundierte datenbasierte Grundlage zu schaffen, sollten zunächst die Unternehmen selbst zu Wort kommen. Dazu haben die Forschenden einen Fragebogen entwickelt, gepaart mit einem Erhebungskonzept. Mit diesem befragten sie eine Stichprobe von Unternehmen der energieintensivsten Branchen zu deren ungenutzten Wärmequellen. Insgesamt wertete das Projektteam 588 Datensätze aus.
Etwa die Hälfte der befragten Unternehmen (54 Prozent) nutzte bereits Abwärme — große Betriebe häufiger als kleine. Von den Unternehmen, die keine Abwärme nutzten, gaben 44 Prozent an, dass nach eigener Einschätzung kein ausreichendes Abwärmepotenzial vorhanden sei. Bei den Betrieben mit hohen Energiekosten und solchen, die bereits Abwärme nutzten oder dies planten, hat sich gezeigt: Sie waren besonders an Informationen zum Thema und einer fachlichen Beratung interessiert. Die Forschenden fanden zudem Hinweise, dass die Unternehmen nur einen geringen Wissensstand über ihre eigenen Energiekosten und die entstehende Abwärme haben. Insgesamt 86 Prozent der Befragten konnten die jährliche Abwärmemenge im eigenen Betrieb nicht abschätzen. 33 Prozent konnten zudem keine Angabe machen, wie das Verhältnis der betrieblichen Energiekosten zu den Gesamtkosten aussieht.
„Dieser Befund könnte ein Beleg dafür sein, dass bei den Unternehmen zum Zeitpunkt des Projektes andere Aufgaben als die Reduzierung der Energiekosten im Vordergrund standen, sicherlich auch bedingt durch die operativen und finanziellen Rahmenbedingungen“, sagt Dr. Olaf Schäfer-Welsen vom Fraunhofer IPM. „Mit weiter steigenden Energiepreisen oder veränderten Rahmenbedingungen könnte sich dies aber ändern.“
Vor Ort zeigen sich Potenziale, aber wirtschaftliche Hürden
Um ein besseres Verständnis darüber zu gewinnen, wie das Abwärmeaufkommen aussieht und sich dieses nutzbar machen lässt, besuchten die Forschenden in einem zweiten Schritt fünf ausgewählte Betriebe. Dort untersuchten sie Wärmequellen und wie diese wirtschaftlich genutzt werden könnten. So stellten die Projektpartner beispielsweise fest, dass über die Ventilatoren einer Papiermaschine erhebliche Mengen an Abwärme ungenutzt in die Atmosphäre entlassen werden. Im Winterbetrieb summiert sich dies sogar auf eine Leistung von mehreren hundert Kilowatt. Genauer identifizierten die Forschenden zudem Hemmnisse, Forschungsbedarfe und Ideen zu verbesserten Rahmenbedingungen. Bei einem Hersteller von Metallerzeugnissen kamen sie etwa zu dem Ergebnis, dass zwar noch ungenutzte Abwärmepotenziale vorliegen, diese aber nur dann wirtschaftlich verwertet werden könnten, wenn sich im Umfeld der Firma potenzielle Abnehmer befänden.
Wo schlummert die Abwärme? Eine Frage der Messtechnik
Eine Erkenntnis aus der Befragung und den Vor-Ort-Untersuchungen besteht darin, dass die Datenlage beim Thema Abwärme bisher sehr ungenau ist. In vielen Betrieben schlummern große Potenziale, die von bisherigen Abschätzungen nicht erfasst werden. So werden Abwärmeströme von Anlagen oft nicht an den Punkten gemessen, an denen sie technisch optimal genutzt werden könnten. Stattdessen rechnen die Unternehmen meist mit der niedrigeren Austrittstemperatur von Abgasströmen, weil diese für Emissionsdaten ohnehin bereits erhoben werden. Die Zahlen zeigen jedoch nicht, ob sich an vorgelagerten Stellen im Prozess hochwertigere Abwärmeströme nutzen lassen.
Beim Thema Abwärme braucht es mehr als nur eine Lösung
Wie sich Abwärme effizient und vor allem wirtschaftlich nutzen lässt, hängt auch von der jeweiligen Technologie ab. Die Forschenden aus dem Projekt Abwärmeatlas haben daher auch den Stand der Technik und der Forschung von verschiedenen Technologien zur Abwärmenutzung und -speicherung ermittelt. Den Fokus legten sie dabei auf kurz- und mittelfristig einsetzbare Techniken sowie auf einfach zu implementierende Systeme.
„Viele verschiedene Technologien und Derivate der einzelnen Technologien zur Abwärmenutzung stehen in den Startlöchern“, sagt Dr. Olaf Schäfer-Welsen. „Alle haben Vor- und Nachteile und keine Technologie kann alle Anwendungen bedienen. Angesichts der sehr vielfältigen Abwärmequellen bedarf es daher einer Vielzahl an Technologien, um die energetischen Verluste reduzieren zu können.“
Diese individuellen Lösungen sind aber nur schwer skalierbar und entsprechend kostenintensiv. Die Forschenden kamen daher zu dem Ergebnis, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung die Abwärmenutzung und speziell die Abwärmeverstromung nur bedingt wirtschaftlich sei. Abzusehende energiepolitische Maßnahmen (zum Beispiel eine steigende CO2-Bepreisung) könnten hier allerdings die Rahmenbedingungen zugunsten der Abwärmenutzung verschieben. Da das Forschungsprojekt Abwärmeatlas 2018 abgeschlossen wurde, sind bei dieser Bewertung jedoch die in 2022 jüngst beobachteten drastischen Preissteigerungen auf den Energiemärkten nicht eingeflossen.
Wärmeübertrager sind von besonders großer Bedeutung
Auf Basis ihrer Untersuchungen haben die Forschenden von Abwärmeatlas verschiedene Handlungsempfehlungen zusammengestellt. Technologien zur Abwärmenutzung sollten bereits früh im Produktionsprozess eingebunden werden. Das bedeutet: Abwärme sollte mit möglichst hoher Temperatur ausgekoppelt und nicht erst genutzt werden, wenn sie schon am „kalten“ Ende eines Prozesses angekommen ist. Damit dies möglich ist, ohne den Prozess selbst zu gefährden, ist Expertenwissen essenziell. Deshalb empfehlen die Forschenden eine Austauschplattform, über die Experten und Unternehmen zusammenkommen können.
Zudem kommen die Projektpartner zu dem Schluss, dass vor allem den Wärmeübertragern, umgangssprachlich auch Wärmetauschern, eine besondere Bedeutung zukommt. Diese entscheiden, wie effizient Wärmeenergie dem Abwärmestrom entzogen und auf ein anderes Medium übertragen werden kann — etwa von einem Abgasstrom auf Wasser für die Warmwasserversorgung. Dabei sind Rückwirkungen auf den Prozess nicht erwünscht. Gute Wärmeübertrager sind zudem ein erheblicher Kostenfaktor. Daher sind sie insbesondere mit technologiespezifisch angepassten Eigenschaften von zentraler Bedeutung.
Im Ergebnis der vielschichtigen Untersuchungen empfehlen die Forschenden, die Abwärmenutzungstechnologien weiter zu erforschen und auch den Ergebnistransfer zu fördern. Dabei sollte vor allem auch ein Fokus darauf liegen, Markteintrittsbarrieren überwinden zu können.
„Nur durch eine ganzheitliche technisch-ökonomische Betrachtung einer möglichst großen Zahl von Industrieprozessen kann eine ausreichende Daten- und Kenntnisbasis geschaffen werden“, sagt Dr. David Bach vom Fraunhofer IPM. „Mit diesem Wissen können gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um Abwärme zukünftig effizient zu nutzen.“
Details zum Forschungsprojekt Abwärmeatlas, Messdaten und alle Handlungsempfehlungen sind im Abschlussbericht zusammengefasst. (ks)
„Nur durch eine ganzheitliche technisch-ökonomische Betrachtung einer möglichst großen Zahl von Industrieprozessen kann eine ausreichende Daten- und Kenntnisbasis geschaffen werden. Mit diesem Wissen können gezielte Maßnahmen ergriffen werden, um Abwärme zukünftig effizient zu nutzen.“Dr. David Bach vom Fraunhofer IPM