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Resilienz
Das Energiesystem fit machen für extreme Stressfälle
Dr. Bert Droste-Franke Mission Energiesystem 2045
Extreme Stressfälle für das Energiesystem sind keine Seltenheit und werden tendenziell weiter zunehmen. Dazu zählen einerseits klimabedingte Wetterphänomene, aber auch Cyberattacken. Um das künftige Energiesystem resilient zu machen, hat ein Forschungsteam innerhalb des Projekts ReMoDigital ein Konzept für einen Stresstest entwickelt. Projektleiter Dr. Bert Droste-Franke erklärt im Interview wie genau das funktioniert.
Welche Herausforderungen des Energiesystems haben Sie mit Ihrer Forschung adressiert?
Dr. Bert Droste-Franke: Wir haben uns mit der Gestaltung zukünftiger Energiesysteme beschäftigt, die stark auf erneuerbare Energien angewiesen sind, welche nicht immer verfügbar sind. Dabei haben wir insbesondere untersucht, wie Flexibilitäten, Speicheroptionen und intelligente Steuerungen gestaltet werden können, um nicht nur den Normalbetrieb zu optimieren, sondern auch die Resilienz bei externen Störungen sicherzustellen.
Was wollten Sie mit dem Projekt erreichen?
Wir wollten ein praxisnahes Konzept entwickeln, mit dem die digitale Energiewende resilient gestaltet werden kann. Herzstück war ein Stresstest-Instrument. Damit lässt sich gemeinsam mit Stakeholdern die Resilienz zukünftiger Energiesysteme gestalten. Wir wollten, ein Tool entwickeln, in dem man mit Hilfe von Szenarien simulieren kann, ob ein anvisiertes System unter Störungen weiterhin zuverlässig funktioniert, zumindest teilweise aktiv bleibt, und seine Funktionsfähigkeit schnell wiederherstellen kann.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
Wir haben zunächst als ein Element eine interdisziplinäre Expertengruppe eingerichtet. Die Gruppe hat sich mit konzeptionellen und übergeordneten Fragen befasst. Außerdem haben wir Systemanalysen in Bereichen wie nationale Energieversorgung, elektrische Netze und Verkehr durchgeführt. Die Ergebnisse haben wir in einem inter- und transdisziplinären Co-Design-Prozess gemeinsam mit Praktikerinnen und Praktikern erarbeitet. So haben wir sichergestellt, dass das Tool praxisnah und anwendbar ist.
Besonders wichtig war es, die Erfahrungen und Erkenntnisse aus der Flutkatastrophe im Ahrtal im Juli 2021 so weit wie möglich in die Entwicklung einfließen zu lassen, um eine praxisnahe und zukunftsorientierte Lösung zu schaffen.
Sie erwähnen einen Co-Design-Prozess. Wie kann man sich das vorstellen?
Wir haben den Prozess damit begonnen, relevante Fragestellungen für das Stresstest-Tool zu identifizieren und konsistente Szenarien für die Rahmenbedingungen zu erarbeiten. Im Rahmen von drei Workshops haben wir anschließend zwei Versionen des Tools vorgestellt und diskutiert. So ist eine ausgereifte Version des Tools entstanden, mit der wir dann erste Gestaltungsdiskurse testweise durchgeführt haben. Dabei zeigte sich, dass insbesondere die Analyse regionaler Aspekte für eine zukünftige Nutzung des Tools großes Potenzial bietet.
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Das klingt sehr umfangreich. Gab es besondere Herausforderungen bei der Entwicklung?
Besonders anspruchsvoll war das Gestalten und Einbetten der systemanalytischen Modelle zu einem integrativen Ganzen, da diese ursprünglich für andere Zwecke entwickelt wurden. Hinzu kam hierbei auch die begrenzte Verfügbarkeit von Daten, etwa zur Hitzeverteilung und zu Hotspots in Städten. Außerdem war es schwierig, einen möglichst konkreten Realitätsbezug zu tatsächlichen Auswirkungen herzustellen, da nur typische Realisierungen und keine realen Fälle modelliert wurden. Zudem mussten wir den Umgang mit unterschiedlichen geographischen und technischen Skalen berücksichtigen, auf denen die betrachteten Stressfälle wirken.
Was heißt das genau?
Hitze und Überschwemmungen haben beispielsweise eine andere geographische Ausdehnung und betreffen andere Aspekte als starke Schneefälle, Stürme oder Dunkelflauten. Nochmal anders sieht es bei Hackerangriffen aus, zum Beispiel bei einem Angriff auf die Leitzentrale, auf zentrale Umspannwerke oder dezentrale PV-Anlagen. Zudem ergab sich, dass die Stressfälle für die verschiedenen Systeme unterschiedlich relevant sind, was wir zusätzlich berücksichtigen mussten.
Wie funktioniert das Stresstest-Tool konkret?
Das Tool bündelt die Ergebnisse unserer Analysen so, dass Akteure resiliente Energiesysteme gestalten können. Es simuliert Extremfälle, die wir exemplarisch für einzelne Regionen untersucht hatten. Dank statistischer Methoden und generischer Typologien von Technologien und Akteuren sind die Ergebnisse übertragbar. Außerdem zeigt das Tool typische Auswirkungen, die auch für andere Regionen relevant sind.
Gab es Elemente, die Ihnen dabei besonders wichtig waren?
Unser zentraler Ansatz war es, ein Tool zu entwickeln, mit dem die Vor- und Nachteile verschiedener Optionen im Hinblick auf ihre Resilienz leicht erfasst werden können. Zudem sollten die Details über wichtige Hintergründe und Annahmen der Analysen transparent für die Entscheider in der Praxis sein. Außerdem ist das Tool webbasiert und in einer Umgebung mit mehreren Bildschirmen, ähnlich eines Decision-Theaters einsetzbar, sodass Auswirkungen von Alternativen gut miteinander verglichen werden können.
Wie kann es in der Praxis eingesetzt werden?
Das Tool haben wir primär für Energiesysteme entwickelt. Der Fokus liegt dabei konkret auf der systemanalysebasierten Gestaltung resilienter Infrastrukturen in Städten und Regionen. Allerdings kann es grundsätzlich auch auf andere kritische Infrastrukturen ausgeweitet werden.
Das heißt, Sie sehen auch weitere Anwendungsbereiche?
Auf jeden Fall. Die zunehmende Anzahl und Intensität von Stressereignissen machen den Ansatz immer relevanter. Wir sehen hier auch klare Übertragungseffekte, die für eine breitere Anwendung genutzt werden sollten. Hierfür müssen jedoch spezifische Analysen ergänzt werden. Mit breiteren Datengrundlagen und zusätzlichen Modellen könnten wir das Tool zudem gezielt für weitere Regionen und Szenarien anpassen.
Welche offenen Fragen gibt es noch, und wie könnte die Forschung weitergeführt werden?
Eine wichtige offene Frage ist, wie die entwickelte Stresstest-Umgebung weiter ausgebaut und genutzt werden kann, um die resiliente Gestaltung kritischer Infrastrukturen in Städten und Regionen zu unterstützen. Extremereignisse kommen in immer engeren Abständen und immer intensiver. Daher wäre es zielführend, weitere Analysen zu integrieren und diese visuell aufzubereiten, etwa in aussagekräftigen Schaubildern zur Gefährdung anderer Versorgungslagen wie in den Bereichen Wasser, Abwasser, Gesundheit, Medizin, Lebensmittel, andere Dinge des täglichen Bedarfs etc. Auch die unterschiedlichen Anforderungen in verschiedenen Entscheidungskontexten müssen dabei berücksichtigt werden. Eine breitere Nutzung des Tools, etwa im Energiebereich, erfordert zudem eine erweiterte Datenbasis. Besonders hilfreich wären beispielsweise Karten gefährdeter Orte und Technologien, basierend auf Simulationen von Extremereignissen. Diese Lücken gilt es noch zu schließen und das Tool so für weitere Anwendungsbereiche nutzbar zu machen.
Das Interview führte Mareike Lenzen, Bereich Forschungskommunikation beim Projektträger Jülich.