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Elektromobilität auf der Schiene
Akku-Züge machen den Bahnverkehr unabhängig von Oberleitungen

16.08.24 | Aktualisiert am: 28.10.2024

Durch Schleswig-Holstein fahren bereits die ersten Züge mit Flirt-Akku; entstanden sind diese im gleichnamigen Forschungsprojekt. Parallel schaut die Wissenschaft auch auf Wasserstoffantriebe.

Als das Land Schleswig-Holstein die ersten Bahnen mit Flirt-Akku orderte, haben Wissenschaftsteams an diesen noch geforscht. 2019 ging die Bestellung über 55 Züge beim Hersteller Stadler Rail ein. Seit vergangenem Herbst fahren sie nun durch Norddeutschlands Bahnhöfe; nicht nur vergleichsweise leise, sondern auch ohne Tank oder Oberleitung. Dazwischen liegt ein Stück Forschung, das zeigt, wie schnell ein Prototyp zum Serienmodell werden kann.

2017 begann Stadler Pankow, die deutsche Tochter des Schweizer Bahnbauers, einen Akkutriebwagen für dessen Flirt-Reihe zu entwickeln. FLIRT steht dabei für „Flinker, Leichter Intercity- und Regional-Triebzug“. Diese Baureihe fährt schon seit fast 20 Jahren durch Deutschland – allerdings nur da, wo es Oberleitungen gibt. Über ein Drittel aller Strecken konnten bislang nur Dieselloks oder andere, nicht-stromgebundene Triebwagen befahren.

Auf den Prototyp von 2017, der offensichtlich schon Interesse bei ersten Kunden weckte, folgte der Start in das Forschungsprojekt Flirt-Akku. Drei Projektpartner übernahmen dabei unterschiedliche Aufgaben: Stadler Pankow sollte das Schienenfahrzeug entwickeln, EWE Netz aus Oldenburg an der Schnittstelle zum Energienetz forschen und das Institut für Energie- und Automatisierungstechnik der Technischen Universität Berlin unterschiedliche Batterietechnologien evaluieren, um die beste Wahl für einen unabhängigen Triebwagen zu finden. Das Bundeswirtschaftsministerium förderte das Projekt mit rund 2,7 Millionen Euro.

Ende 2020 stellten die Forschenden das Projekt fertig; drei weitere Jahre brauchte Stadler, um eine serienreife Baureihe zu entwickeln. Schon in dieser Zeit war das Interesse groß: DB Cargo bestellte bereits Modelle, die im kommenden Jahr ausgeliefert werden sollen, und auch aus den USA gibt es erste Anfragen.

Rekordfahrt mit Akku-Zug

Die dabei entwickelte Batterieausrüstung ist leistungsfähig genug, um über 100 Tonnen Leergewicht auf eine Höchstgeschwindigkeit von 160 Kilometer pro Stunde anzutreiben, maximal 180 Sitzplätzen bietet der Zug Raum. 150 Kilometer sind so möglich, auf teilelektrifizierten Strecken deutlich mehr. Denn die Züge können Energie aus Batterie, Oberleitung und Rekuperation im Wechsel nutzen. Die Akkus laden unter der Oberleitung in etwa einer Viertelstunde wieder auf. Möglich ist der Einsatz von Lithium-Titanat-Oxid-Zellen (LTO), wie auch von Lithium-Eisenphosphat-Zellen (LFP), die beide als besonders sicher und geeignet für das Leistungsprofil im Zugverkehr gelten.

Inzwischen halten die Flirt-Akku-Züge auch den Rekord für die längste Fahrt mit einem Batteriezug im reinen Batteriebetrieb. 224 Kilometer trug die Akkuladung den Zug beim erfolgreichen Rekordversuch Ende 2021 in Deutschland.

Rekordfahrt im Video

Bahnverkehr künftig netzdienlich und mit Wasserstoff

Darüber hinaus untersuchte Stadler Pankow zusammen mit EWE Netz und der TU Berlin, wie die Be- und Entladung netzdienlich ablaufen kann, die Akkus also bei Bedarf dem Stromnetz Regelenergie bereitstellen können. Dieses sogenannte bidirektionale Laden könnte künftig eine wertvolle Ergänzung für regenerative Stromerzeuger werden. Im Nachfolgeprojekt MOSENAS will Stadler nun einen modularen, skalierbaren Speicher entwickeln.

Mit einem Schwesterfahrzeug hat Stadler kürzlich einen weiteren Rekord eingefahren: In den USA fuhr ein „Flirt H2“ 2.803 Kilometer ohne Tankvorgang. Dieser besteht aus zwei elektrisch angetriebenen Endwagen und einem Mittelwagen mit Brennstoffzellen und Wasserstofftanks. Der Strom wird von den Brennstoffzellen an eine Traktionsbatterie weitergeleitet, die ebenfalls Bremsenergie speichern kann. Zwar fährt der Flirt H2 nur mit einer Höchstgeschwindigkeit von 130 Kilometern pro Stunde – dafür könnte er künftig sogar Interkontinentalstrecken ohne Oberleitung oder Tankstopp absolvieren.

An einer Idee, wie ein geeigneter Wasserstoffspeicher für die Schiene aussehen könnte, forscht derzeit das Unternehmen Wolf Energetik mit zwei Projektpartnern im Vorhaben FutureHDrive. Die Idee: Wasserstoff lässt sich auch in Eisenpellets speichern. Solche Eisenmasse-Speicher können mittels chemischer Reaktion Wasserstoff freisetzen, der in Motoren oder Brennstoffzellen zum Einsatz kommt. Der innovative Antriebsstrang wird in FutureHDrive in einem Pilotvorhaben getestet. Er soll Energie von einer Megawattstunde bereitstellen und sich in Schienenfahrzeuge integrieren lassen, um einen emissions- und oberleitungsfreien Schienenpersonennahverkehr im ländlichen Raum zu ermöglichen.

Weitere Forschung an modularem Wagenkasten

Dazu passt, dass der Zughersteller ALSTOM Transport Deutschland GmbH derzeit im Verbundvorhaben AnoWaAS zusammen mit gleich fünf weiteren Projektpartnern ein angepasstes und optimiertes Wagenkastenkonzept untersucht, welches gezielt den Anforderungen alternativer Antriebssysteme gerecht wird. Im Projekt entsteht ein leichtbauoptimierter und modularer Wagenkasten für Schienenfahrzeuge, der zwar schwere Komponenten beherbergen, aber selbst nicht wesentlich zum Gesamtgewicht beitragen soll. Dazu wollen die Forschenden eine komplette Entwicklungskette abbilden. Diese reicht von grundsätzlichen, verfahrensbasierten Packaging-Untersuchungen über mögliche Gestaltungen der Bauweise und neuartige Konstruktions- und Auslegungsverfahren bis hin zu optimierten Fertigungs- und Montageverfahren. Am Ende soll die prototypische Umsetzung stehen.

Die beiden Projekte FutureHDrive und AnoWaAS laufen unabhängig voneinander, zeigen aber beide, wo die Reise hingeht – auch in der Elektromobilitätsforschung für die Schiene. Beide Projekte sollen in diesem Jahr beendet werden, sodass die Forschenden anschließend ihre Ergebnisse veröffentlichen können. (pj)