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Projekt PV4Rail
PV-Anlagen entlang der Bahn: „Das Potenzial ist da – der Markt muss nur noch ertüchtigt werden“
Andreas Hensel Mission Stromwende 2045
8.000 Kilometer eigene Stromleitungen verteilen sich deutschlandweit über das Netz der Deutschen Bahn. Photovoltaik-Anlagen entlang der Gleise, die direkt ins Netz einspeisen, gibt es bislang nicht. Andreas Hensel, Wissenschaftler am Fraunhofer ISE und Projektleiter vom Forschungsvorhaben PV4Rail, schildert im Interview, wie sich das ändern könnte.
Herr Hensel, im Verbundvorhaben PV4Rail haben Sie sich zum Ziel gesetzt, ein ganzheitliches Konzept und einen leistungselektronischen Umrichter zu entwickeln, um PV-Strom direkt im Bahnnetz einzuspeisen. Wie ist die Idee für das Projekt entstanden?
Andreas Hensel: Die Grundidee gab es schon vor rund zehn Jahren. Damals haben wir aber keinen Industriepartner gefunden, der einen passenden Wechselrichter entwickeln wollte – das Projekt kam also nicht über die Skizzenphase hinaus. Inzwischen hat sich technisch und politisch viel getan: Die Leistungen der Anlagen sind gestiegen. Gleichzeitig hat sich der Druck erhöht, im Bahnstromnetz nachhaltige Lösungen zu finden. Mit der Firma VENSYS Elektrotechnik als Industriepartner und der DB Energie als assoziiertem Partner konnten wir das Projekt schließlich starten.
Eine der großen Herausforderungen ist es, dass das Bahnstromnetz mit einer eigenen Frequenz von 16,7 Hertz (Hz) betrieben wird – im Gegensatz zum öffentlichen Netz mit 50 Hz.
Genau. Neben der Einphasigkeit des Netzes und der niedrigeren Frequenz ist die Spannungstoleranz ein entscheidender Faktor. Während sie im öffentlichen Stromnetz nur bei +/- zehn Prozent liegt, liegt sie im Bahnnetz bei bis zu 30 Prozent. Denn durch Anfahren, Abbremsen und Vorbeifahren von Zügen an Netzanschlusspunkten ergeben sich dynamische Spannungsänderungen – und darauf muss die Regelung des Wechselrichters angemessen reagieren können.
Auch aus wirtschaftlicher Sicht ist das Bahnstromnetz herausfordernd. Denn eine 16,7-Hz-Anlage wird immer teurer sein als eine normale 50-Hz-Anlage. Das hat unter anderem technische Gründe, weil Wechselrichter für die niedrigere Frequenz aufwendiger sind: Es braucht größere Kondensatoren, die als temporäre Energiespeicher den elektrischen Energiefluss regulieren und stabilisieren und damit eine kontrollierte und gleichmäßige Leistungsabgabe garantieren. Aber auch größere Transformatoren, die die die Transformation der Ausgangsspannung des Wechselrichters auf die Fahrdrahtspannung von 15 kV übernehmen. Unterm Strich bedeutet das: Der Materialbedarf ist höher.
Welche Hürden gilt es darüber hinaus zu meistern?
Der Markt ist sehr klein – nur Deutschland, Österreich, die Schweiz und Norwegen nutzen das 16,7-Hz-Netz. Große Hersteller bremst das, auf diesen Markt zu setzen. Und an Orten, an denen die Flächen in direkter Konkurrenz zum 50-Hz-Netz stehen, entscheiden sich Investoren natürlich eher dazu, eine 50-Hz-Anlage zu bauen. Deshalb sind vor allem Flächen attraktiv, die weit vom öffentlichen Netz und entlang der Bahngleise liegen.
Dazu kommt das Problem, dass die von den Verbrauchern zu bezahlenden Netzentgelte aktuell unabhängig davon sind, ob der Strom aus dem öffentlichen 50 Hz-Netz oder direkt aus dem Bahnstromnetz kommt. Bei Betrachtung des Gesamtsystems ist dies de facto eine Benachteiligung von Bahnstrom-PV-Anlagen. Denn der Bezug über das öffentliche Netz beansprucht das ohnehin schon sehr ausgereizte Netz, außerdem entstehen durch die längere Übertragung und die Umrichterwerke (Frequenzumwandlung von 50 Hz auf 16,7 Hz) Verluste, die ebenfalls über die Netzentgelte auf alle Verbraucher umgelegt werden. In der Praxis bedeutet das, dass ein Verbraucher im Bahnstromnetz die gleichen Netzentgelte bezahlt, egal ob die energieerzeugende Anlage direkt in 16,7 Hz einspeist oder in das öffentliche 50-Hz-Netz.
Der Verlustvorteil und auch der Vorteil, der sich durch eine geringere Belastung der höheren Netzebenen und Umrichterstationen bei einer Direkteinspeisung und Betrachtung des Gesamtsystems ergibt, sollte künftig an die Verbraucher in Form von reduzierten Netzentgelten weitergegeben werden. So würden Bahnstrom-PV-Anlagen wirtschaftlich attraktiver und die Energiewende im Bahnstromnetz auch wirtschaftlich umsetzbar.
„Im Bahnstromnetz gibt es bereits jetzt nur noch wenige rotierende Massen. Deshalb stellt die Bahn bereits darauf um, dass alle Wechselrichter netzbildend sein müssen..“Andreas Hensel (Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems (ISE))
An welchen Lösungen für die genannten Herausforderungen haben Sie im Projekt gearbeitet?
Wir wollten zum einen eine optimierte Regelungstechnik und Leistungselektronik entwickeln, die auch die Wirtschaftlichkeit im bahneigenen Stromnetz garantiert. Dafür hat das Energieversorgungsunternehmen EnBW AG techno-ökonomische Analysen durchgeführt und Anlagenkonzepte entwickelt, um Kosten zu minimieren.
Wir als Fraunhofer ISE haben leistungselektronische Konzepte zur Kompensation des einphasigen Leistungsrippels untersucht und den Wechselrichter der Firma Vensys Elektrotechnik mit einer Leistung von 1 MVA in unserem Labor getestet. Der Hintergrund: Bei der Einspeisung in ein Wechselstromnetz pulsiert die momentane Leistung mit der doppelten Netzfrequenz. In dreiphasigen Netzen entsteht durch die Überlagerung der drei Phasen eine Einspeistung mit zeitlich konstanter Leistung. In einphasigen Netzen jedoch nicht. Diese pulsierende Leistung muss zur PV-Anlage hin entkoppelt werden, damit dem Solargenerator eine möglichst konstante Leistung bei konstanter Spannung entnommen wird. Im einfachsten Fall kann die Entkopplung durch Kondensatoren erreicht werden.
Außerdem haben wir uns mit künftigen netzbildenden Regelungsalgorithmen für solche Umrichter befasst. Im Bahnstromnetz gibt es bereits jetzt nur noch wenige rotierende Massen. Deshalb stellt die Bahn bereits darauf um, dass alle Wechselrichter netzbildend sein müssen. Passend zu diesen Anforderungen haben wir eine Regelung entwickelt – unterstützt von der DB Energie. Zudem haben wir zusammen mit den Partnern ein konkretes Demonstrationsprojekt geplant. In diesem Kontext wurden verschiedene potenzielle Standorte in Deutschland identifiziert und hinsichtlich einer Machbarkeit bewertet. Zu Beginn des Projektes war geplant, die Pilotanlage als Folgeprojekt zu beantragen. Die wirtschaftlichen und umwelttechnischen Untersuchungen waren jedoch zu Projektende noch nicht so abgeschlossen. Ein Folgeantrag wurde daher bisher nicht gestellt.
Welche Ihrer gesteckten Ziele konnten Sie erreichen?
Zwei Dinge sind aus meiner Sicht besonders positiv: Einer unserer Partner, der Software- und Systemlösungsdienstleister IP SYSCON, hat eine deutschlandweite Flächenpotenzialanalyse durchgeführt – also anhand von Geodaten geprüft, wo und in welchem Umfang Photovoltaikanlagen an Bahnstrecken möglich wären. Die Analyse zeigte, dass mehr geeignete Flächen existieren, als benötigt werden. Auch, weil nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) seit 2023 Photovoltaik-Freiflächenanlagen entlang von Schienen bis zu einem Abstand von 500 Metern förderfähig sind.
Zum anderen, dass wir den Demonstrator nicht nur planen, sondern auch testen konnten – mit zufriedenstellenden Ergebnissen und einer klaren Verwertungsstrategie des Partners Vensys Elektrotechnik. Der deutsche Markt muss zwar erst noch ertüchtigt und die netzbildenden Funktionen implementiert werden, das wird noch etwas Zeit in Anspruch nehmen. In Österreich sind diese Voraussetzungen aber bereits geschaffen – deshalb kann der Wechselrichter dort schnell zum Einsatz kommen.
Was wir nicht geschafft haben, war die konkrete Anbahnung einer Pilotanlage in Deutschland. Das lag vor allem daran, dass Prioritäten der Partner anders gesetzt wurden. Denn der Markt für 16,7-Hz-Anlagen ist noch ein Nischenmarkt. Das ökonomische Marktpotenzial muss von allen Beteiligten erst einmal gesehen werden. Aber ich bin überzeugt, dass das lediglich eine Frage der Zeit sein wird und es solche Anlagen in den nächsten Jahren auch in Deutschland geben wird.
Blicken wir auf die Technologie der netzbildenden Wechselrichter. Ohne sie wird die Energiewende im Stromnetz nicht gelingen. Wie nah sind sie an der Marktreife?
Klar ist: Die rotierenden Massen in unseren Stromnetzen müssen ersetzt werden, Wechselrichter stattdessen als Spannungsquelle dienen und das Netz bilden. Was dafür bislang vor allem fehlte, war eine einheitliche technische Definition dafür, was „netzbildend“ genau bedeutet und welche Anforderungen die Wechselrichter erfüllen müssen. Mit der neuen europäischen Netzrichtlinie (RfG 2.0, Requirements for Generators) wird das endlich klar geregelt. Diese Vorgaben müssen dann bis Mitte 2027 auch national umgesetzt werden. Für Netzbetreiber wird das höchste Priorität haben, der Einsatz wird verpflichtend und netzbildende Wechselrichter dadurch schnell im Markt ankommen. Es gibt gar keine andere sinnvolle Möglichkeit.
Diese Anschlussbedingungen beziehen sich jedoch ausschließlich auf das öffentliche 50-Hz-Netz. Für das Bahnstromnetz hat die DB bereits während der Projektlaufzeit netzbildende Anforderungen in ihre Anschlussbedingungen aufgenommen und konkretisiert. In den großen Umrichterstationen, die das Bahnstromnetz mit dem öffentlichen Stromnetz verbinden sind diese auch bereits umgesetzt. Neben einer P(f)-Regelung und Q-(U)-Regelung (Anm. d. Red.: Regelverfahren, um die Netzstabilität zu garantieren) müssen die Umrichter auch einen Beitrag zur Momentanreserve leisten. Die von uns im Modell entwickelte Regelung erfüllt diese Anforderungen und kann im nächsten Schritt auch im Wechselrichter implementiert werden.
Wo sehen Sie weiteren Forschungsbedarf und was nehmen Sie persönlich aus dem Projekt mit?
Zum einen bei der Optimierung der netzbildenden Regelungen. Teilweise gibt es Anforderungen, einen Energiespeicher zu integrieren. Diese Integration lässt sich noch kosteneffizienter gestalten. Auch die PV-Anlagen an sich bieten noch Optimierungspotenzial, zum Beispiel indem sie sich besser in das Stromverbrauchsprofil der Bahn fügen. Etwa mit Ost-West-Ausrichtung oder Agrivoltaik-Konzepten mit aufrechten PV-Modulen, die morgens und abends mehr Strom liefern als mittags – passend zu den Stoßzeiten im Zugverkehr.
Das Projekt hat überraschend viel öffentliche Aufmerksamkeit bekommen – auch außerhalb der Branche. Es gab Anfragen von Medien, Unternehmen und sogar Privatpersonen, die Flächen an Bahnstrecken zur Verfügung stellen wollten. Das zeigt, wie groß das Interesse ist und motiviert natürlich auch.
Ich hoffe, dass bald die ersten Bahnstrom-PV-Anlagen in Deutschland entstehen – nicht nur Pilotprojekte, sondern Systeme im realen Einsatz. Das Potenzial ist da.
Das Interview führte Uschi Jonas, Wissenschaftsjournalistin am Projektträger Jülich.