
OpenEnergy-Plattform erleichert Netzplanung
„Wir betrachten das komplette Stromnetz“
Jochen Wendiggensen Mission Stromwende 2045, Mission Transfer
PROF. JOCHEN WENDIGGENSEN IM INTERVIEW
Das Stromnetz zu kennen und seine Schwachstellen zu verstehen ist Grundvoraussetzung, damit der Netzausbau funktioniert und die Energiewende gelingt. Im Verbundprojekt open-eGo hat ein Forschungsteam unter Leitung der Hochschule Flensburg deshalb ein netzebenen-übergreifendes Planungsinstrument entwickelt und es auf einer offenen Forschungsplattform öffentlich zugänglich gemacht. Projektkoordinator Prof. Jochen Wendiggensen vom Zentrum für nachhaltige Energiesysteme der Hochschule Flensburg erklärt, was es damit auf sich hat.
Was unterscheidet Ihren Ansatz von den bereits existierenden Instrumenten zur Netzplanung, wie etwa dem Netzentwicklungsplan der Übertragungsnetzbetreiber oder der dena-Verteilnetzstudie?
Wendiggensen: Es stimmt, dass der Ausbau des Übertragungsnetzes systematisch von den Übertragungsnetzbetreibern und der Bundesnetzagentur koordiniert und geplant wird. Aber das Übertragungsnetz macht nur etwa zwei Prozent des Stromnetzes in Deutschland aus.
Die eigentliche Herausforderung der Energiewende liegt darin, die Verteilnetze, also Hoch-, Mittel-, und Niederspannung, für dezentrale, regenerative Energiequellen fit zu machen. Hier gibt es nicht vier, sondern mehr als 800 Netzbetreiber, die alle ihre eigenen Instrumente zur Netzabbildung und -planung verwenden.
Das Planungsinstrument eGo bildet sowohl das Übertragungsnetz als auch alle Verteilnetzebenen realitätsnah ab. Wir betrachten also das komplette Stromnetz.
Und das tun die Netzbetreiber nicht?
Wenn, dann nur in bestimmten Abschnitten. Ein vollumfänglicher Informationsaustausch zu Netzzustand und Ausbaubedarf findet weder zwischen den Verteilnetzbetreibern untereinander, noch zwischen Verteilnetz- und Übertragungsnetzebene statt. Es handelt sich ja im Prinzip um Geschäftsgeheimnisse.
Deshalb haben wir mit der OpenEnergie-Plattform direkt auch eine virtuelle Forschungsplattform etabliert und unser Planungstool dort zur Verfügung gestellt. Hier können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Energiesystemmodelle wie eGo gemeinsam end- und weiterentwickeln. Diese Transparenz bündelt Ressourcen, fördert die Partizipation und festigt unserer Meinung nach auch die gesellschaftliche Akzeptanz.
Wenn die Netzbetreiber ihre Netzinformationen so ungern herausgeben, auf welcher Grundlage konnten Sie dann ein solches Planungsinstrument bauen?
Wir haben eGo ausschließlich mittels frei verfügbarer Informationen entwickelt. Wegpunkte für Stromleitungen und Ähnliches findet man in OpenStreetMap. Damit wir auch rechnen können, haben wir die OSM-Daten mit weiteren physikalischen Daten unterfüttert, wie etwa der Spannungsebene und der Leitungsart.
Die Niederspannungsebene – also Hausanschlüsse und Ortsnetze – haben wir synthetisch erschlossen. Dazu haben wir uns die Straßenverläufe, Straßenzüge und Verbraucher angeschaut. Um die Netzauslastung festzustellen, haben wir Standardwerte für die angeschlossenen Erzeuger und Verbraucher genommen und diese hochgerechnet. Hinzukommen noch zahlreiche Bedingungen und Einflussfaktoren, wie der Vorrang von Strom aus erneuerbaren Energien am Netz, die Wetterlage und so weiter.
Wenn dieses Modell funktioniert, dann kann man verschiedene Szenarien durchspielen, wie etwa Windparks an bestimmten Orten oder das Abschalten eines Kohlekraftwerks – und zwar ortsscharf, also räumlich und zeitlich aufgelöst.
Welche Fragen lassen sich mit dem Tool beantworten?
Das kommt darauf an, welche Zielfunktion sie eingeben. Zielfunktion könnte zum Beispiel sein, den Netzausbau möglichst kosteneffizient für Netzbetreiber wie auch für Verbraucher zu gestalten. Anhand der Ergebnisse lässt sich ermitteln, wo die entsprechenden Baustellen sind, wo sich der Einsatz von Speichern lohnen würde oder wo sich das ganze Last- und Erzeugungsprofil glätten ließe.
Das Interview führte Carolin Höher, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich, für den Forschungsjahresbericht "Innovation durch Forschung" 2018.