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Ein Beispiel für ein energieflexibles Quartier: Auf dem Campus Lichtwiese der TU Darmstadt werden die verschiedenen Energieversorgungssparten intelligent miteinander vernetzt (Aufnahme vom 15.8.2024). © Jannik Hoffmann
Ein Beispiel für ein energieflexibles Quartier: Auf dem Campus Lichtwiese der TU Darmstadt werden die verschiedenen Energieversorgungssparten intelligent miteinander vernetzt (Aufnahme vom 15.8.2024).

Energieflexibilität
„Gebäude und Quartiere können das Energiesystem stabilisieren“

Dr. Hee-Jung Yoon Mission Energiesystem 2045, Mission Wärmewende 2045

11.12.25 | Aktualisiert am: 11.12.2025

Der Gebäudesektor in Deutschland ist für rund 30 Prozent der CO₂-Emissionen verantwortlich. Diese lassen sich senken, wenn Gebäude und Quartiere sich flexibel an schwankende Energieerzeugung und -nachfrage anpassen. Worauf es dabei ankommt, erklärt Dr. Hee-Jung Yoon von der TU Darmstadt. 

Frau Yoon, was zeichnet ein energieflexibles Gebäude oder Quartier aus?

Dr. Hee-Jung Yoon: Ein energieflexibles Gebäude oder Quartier kann seinen Energieverbrauch zeitlich verschieben, Energie zwischenspeichern und unterschiedliche Energiequellen intelligent miteinander kombinieren. Das heißt: Wärme kann zum Beispiel in Pufferspeichern oder in der Gebäudemasse zwischengelagert werden, Strom in Batteriespeichern. Eine intelligente Steuerung entscheidet dann, wann man Energie nutzt, speichert oder erzeugt. So kann etwa Wärme genau dann produziert werden, wenn besonders viel erneuerbarer Strom im Netz verfügbar ist. Oder bestimmte Lasten werden gezielt in Zeiten verlegt, in denen das Netz weniger belastet ist. Dadurch wird das Gesamtsystem stabiler – und Gebäude und Quartiere tragen aktiv dazu bei. Geregelt wird das über Energiemanagementsysteme, Prognosen und automatische Betriebsstrategien, die Wärmepumpen oder Speicher zum optimalen Zeitpunkt steuern.

Zur Person

Dr. Hee-Jung Yoon © Hee-Jung Yoon

Dr. Hee-Jung Yoon forscht an der TU Darmstadt zu energieeffizienten und lebenszyklusbasierten Gebäude- und Quartierskonzepten. Nach ihrem Architekturstudium und mehreren Jahren in Planung, Lehre und Forschung untersucht sie aktuell in den Projekten „Campus Lichtwiese III“ und „INTEND“ THG-Reduktionspotenziale, erneuerbare Energien, Energieflexibilität und Wärmeversorgung im Bestandsquartier.

Warum benötigen wir energieflexible Gebäude und Quartiere?

Weil mit dem steigenden Anteil erneuerbarer Energien auch die Schwankungen im Energiesystem zunehmen. Sonne und Wind stehen nicht immer dann zur Verfügung, wenn Energie gebraucht wird. Energieflexible Gebäude und Quartiere können genau hier ausgleichen. Das spart Kosten, weil Energie in Phasen hoher erneuerbarer Einspeisung günstiger ist. Und es reduziert CO₂-Emissionen, weil weniger fossile Spitzenlasten notwendig sind. Kurz gesagt: Flexibilität gleicht Schwankungen aus, macht das System effizienter und beschleunigt die Klimaneutralität.

Können Sie dazu ein Beispiel aus Ihrer Forschungspraxis nennen?

Auf dem Campus Lichtwiese der TU Darmstadt sollen die verschiedenen Energieversorgungssparten intelligent miteinander vernetzt werden. Hierzu setzen wir unter anderem auf eine elektrische Energiezelle. Dies ist eine lokal abgegrenzte, intelligente Energieeinheit – ein System, das Strom erzeugt, speichert und verbraucht und möglichst im Gleichgewicht bleibt. Auf dem Campus Lichtwiese heißt das: PV-Anlagen, Batteriespeicher, Wärmepumpen, Lüftungsanlagen, Gebäudeautomation und flexible Verbraucher arbeiten zusammen und werden über Prognosen und Energiemanagement so gesteuert, dass der Campus möglichst viel Energie selbst nutzt, Lastspitzen vermeidet und das Stromnetz unterstützt.

Welche Rolle spielt hier die Vernetzung in der Wärmeversorgung?

Wir koppeln in dem Vorhaben auch mehrere regenerative Wärmequellen und Speicher zu einer lokalen thermischen Energiezelle. Im Maschinenbau-Institutsgebäude testen wir geringinvasive Maßnahmen an der Wärmeverteilung, also Anpassungen am Heizsystem ohne Eingriffe in die Gebäudehülle, um den Wärmeverbrauch effizient zu senken.

 Lokale thermische Energiezelle auf dem Campus Lichtwiese der TU Darmstadt

Parallel dazu wird das Maschinenbaugebäude zunehmend mit erneuerbarer Wärme versorgt. Dabei kombinieren wir die Solarthermieanlage und die Abwärme aus den Hochtemperatur-Prüfmaschinen des benachbarten Neubaus des Center for Reliability Analytics (CRA). Diese Wärme wird über eine Wärmepumpe und das Erdsondenfeld aufbereitet und anschließend durch die Integration eines Pufferspeichers im Maschinenbau-Institutsgebäude in das lokale Wärmesystem eingespeist. Das zeigt sehr konkret, wie regenerative Wärmeversorgung im Bestand funktionieren kann – und wie mehrere Gebäude gemeinsam eine lokale Wärmeenergiezelle bilden.

Im Vorhaben INTEND geht es darum, Wärmepumpen und Wärmenetze flexibel zu betreiben. Welche Rolle spielen hier die Praxispartner?

Wir arbeiten sehr eng mit verschiedenen Praxispartnern zusammen: Die Stadtwerke Kiel, Karlsruhe, Bamberg und Erlangen bringen reale Netzdaten, Modellgebiete und Praxiserfahrung ein. Siemens unterstützt uns im Bereich Energiemanagement und Laborsimulation. Der Hersteller von Wärme-Infrastruktur Yados bringt technisches Know-how für Wärmeerzeuger und Übergabestationen ein. TenneT liefert die Perspektive aus dem übergeordneten Stromnetz. Und der AGFW bringt die Sicht der Wärmewirtschaft und viele regulatorische Aspekte mit. Diese Kombination aus Forschung und Praxis ist zentral, damit die entwickelten Methoden tatsächlich praxistauglich sind und an realen Infrastrukturen erprobt werden können.

Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich vom Projekt INTEND?

Im Idealfall haben wir ein klares Bild davon, wie sich Wärmenetze und dezentrale Systeme intelligent miteinander abstimmen lassen und welche Betriebsstrategien, Datenmodelle und Flexibilitätspotenziale in den Netzen und Gebäuden stecken. Darauf aufbauend wollen wir eine Methodik entwickeln, mit der Kommunen und Energieversorger Transformationspfade planen können – hin zu einem klimaneutralen und gleichzeitig stabilen Energiesystem.

Aus Sicht des Fachgebiets Entwerfen und Nachhaltiges Bauen ist besonders wichtig, dass wir auch verstehen, welchen Beitrag Gebäude leisten können: Wie unterschiedliche Gebäudetypen, Sanierungszustände oder Nutzungsarten die Flexibilität beeinflussen, welche baulichen und technischen Maßnahmen wirksam sind und wie Gebäude als aktive Elemente im Energiesystem eingesetzt werden können.

Das Interview führte Birgit Schneider, Bereich Forschungskommunikation beim Projektträger Jülich.