© DLR (CC BY-NC-ND 3.0)
Forschungspark Windenergie (WiValdi)
„Wir könnten Standardsetter werden“
Dr. Jan Teßmer Mission Energiesystem 2045, Mission Transfer
Hochwertige Messsysteme, zwei sich gegenseitig verschattende Windenergieanlagen und bald auch eine modulare experimentelle Forschungsanlage: Der Forschungspark Windenergie (WiValdi) des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) bietet eine Basis für zentrale Forschungsfragen im Bereich Windenergie. Dr. Jan Teßmer ist für den Betrieb des Forschungsparks zuständig. Im Interview spricht er über den Stand der Aufbauarbeiten, die bedeutendsten Entwicklungen in der aktuellen Windenergieforschung und die Frage, warum zunehmende Anlagengrößen echter Ingenieursfähigkeiten bedürfen.
Herr Dr. Teßmer, die Windenergie ist längst fest etabliert: Weltweit belegt Deutschland nach China und den USA den dritten Rang bei der installierten Windkraftleistung. Und bereits im Jahr 2022 war sie die zweitwichtigste Energiequelle für die Stromerzeugung hierzulande. Etwas provokant gefragt: Wozu braucht es da überhaupt noch großangelegte Forschung für die Windenergie?
Dr. Jan Teßmer (lacht): Diese Frage beantworte ich mal ganz provokant: Es geht doch jetzt erst los! Zu den ganzen Effizienzthemen, die wir weiterhin haben, kommen jetzt noch die Systemthemen wie Netzeinbindung und Speicherausbau. All das wollen wir in unserem Forschungswindpark WiValdi im niedersächsischen Krummendeich, den wir im August 2023 eröffnet haben, im Originalmaßstab wissenschaftlich untersuchen. Ziel ist es, die Windenergie mit all ihren Einflussfaktoren besser zu verstehen.
Ein Beispiel?
Nehmen Sie das Thema Dämpfungsverhalten. Das klingt so sanft und weich und unschuldig. Dabei geht es aber um ganz handfeste Fragen. Zum Beispiel, welche Erschütterungen eine Windenergieanlage erfährt und wie sie sich reduzieren lassen. Wir bewegen uns da in ganz spannenden Bereichen. So etwas kann man nicht ausschließlich im Labor erforschen. Das müssen Sie schon unter realen Umweltbedingungen tun. Und genau die bietet WiValdi.
Als Leiter der Einrichtung Windenergieexperimente im DLR sind Sie für den Aufbau und Betrieb von WiValdi verantwortlich. Wo stehen Sie gerade?
Die ersten Forschungsprojekte konnten wir bereits anschieben. Im Projekt NearWake etwa untersuchen wir die Ausbreitung des nahen Nachlaufs von Windturbinen. Das ist ein wichtiges Forschungsfeld, da der nahe Nachlauf die Leistung und Belastung von anderen Anlagen eines Windparks beeinflusst. Und schon jetzt ist das Interesse von Windenergieanlagenbetreibern an den Forschungsergebnissen groß. Ich denke, in ein, zwei Jahren werden die ersten Publikationen dazu vorliegen. Gleichzeitig treiben wir den Aufbau von WiValdi weiter voran.
Wie weit sind Sie damit?
Nun, das ist ein einmalig instrumentierter Windpark. Das heißt, es gibt keine Blaupause, wie so etwas funktioniert. Wir haben im Labor alles sehr sorgfältig geplant, aber in der Realität stellt sich manches dann doch etwas anders dar. Ich schätze, dass wir noch ein paar Monate brauchen, bis alles zuverlässig läuft.
Was liegt Ihnen persönlich dabei besonders am Herzen?
Der Aufbau unserer Experimentalturbine OPUS 3. Das ist nach OPUS 1 und OPUS 2, die bereits seit Sommer 2023 in Betrieb sind, die dritte Windenergieanlage des Forschungsparks. Das Fundament für OPUS 3 wurde im August 2025 fertiggestellt, auch der mobile Messmast ist bereits da. Insofern bin ich optimistisch, dass die Experimentalturbine bald errichtet und ans Netz gehen wird.
Warum ist OPUS 3 etwas Besonderes?
Weil OPUS 3 anders als die beiden anderen Anlagen unsere eigene Entwicklung ist. Und wir damit die Daten, die sie generieren wird, noch mal freier für die Forschung zur Verfügung stellen können, als das bei OPUS 1 und OPUS 2 der Fall ist. Das heißt, mit der OPUS 3 haben wir ganz andere Möglichkeiten, Benchmarks zu definieren, und könnten sogar eine Art Standardsetter werden. Wir werden uns dann sicherlich auch viel Kritik stellen müssen. Aber wir wären eben auch ganz vorne dabei in der Problemlösung.
Was sind denn für Sie die bedeutendsten Entwicklungen im Bereich Windenergie in der letzten Zeit?
Schwer zu sagen, weil es an unglaublich vielen Stellen vorangeht. Was im wahrsten Sinne des Wortes nicht zu übersehen ist: Die Anlagen werden immer größer. Wie oft habe ich schon gedacht, dass das Limit in dieser Hinsicht erreicht sei – aber nein, die nächste Anlagengeneration war dann doch wieder größer als die vorherige.
Zur Akzeptanz in der Bevölkerung trägt es aber sicherlich nicht bei, wenn die Anlagen immer größer werden, oder?
Ach nein, das glaube ich nicht – im Gegenteil. Denn je größer eine Windenergieanlage ist, umso ruhiger wirkt sie. Entscheidend hierbei ist die Blattspitzengeschwindigkeit: Je länger das Blatt ist, desto geringer die Rotationsgeschwindigkeit. Schauen Sie sich einmal Windparks mit ganz kleinen Anlagen an: Das sind so kleine Flitzer, das wirkt extrem unruhig. Windparks mit sehr großen Anlagen haben dagegen eine fast beruhigende Wirkung.
Wie wirkt sich das rein physische Wachstum der Anlagen auf deren Leistungsfähigkeit aus?
Die Volllastkapazität der Anlagen hat sich in den vergangenen Jahren enorm gesteigert. Sie zeigt an, wie viele der insgesamt 8.760 Stunden, die ein Jahr hat, die Anlage tatsächlich volle Leistung bringt. Die älteren Anlagen liegen bei 1.700 Volllaststunden im Jahr, die jetzigen Anlagen bei knapp 3.000, und offshore wollen wir sogar auf über 4.000 Volllaststunden im Jahr kommen. Um das zu erreichen, braucht es schon echte Ingenieursfähigkeiten.
Was ist die Herausforderung daran, eine hohe Volllastkapazität zu erreichen?
Nun, Sie müssen es ja schaffen, dass die Anlagen schon bei geringen Windgeschwindigkeiten Nennlast machen und bei hohen Geschwindigkeiten erst dann abgeregelt werden, wenn Überlasten auftreten. Ich selbst habe zwei Forschungsprojekte koordiniert, in denen es darum ging, intelligente Rotorblätter zu entwickeln. Diese sollten bei Schwachwind vernünftig Leistung bringen, aber auch bei viel Wind noch funktionieren. Das ist schon die Hohe Schule des Ingenieurswesens. Umso beeindruckender, dass die Volllastkapazität in den vergangenen Jahren insgesamt so stark zugenommen hat.
Wenn die Anlagen immer leistungsfähiger werden: Wird der Bedarf an neuen Windparks mittelfristig dann eher abnehmen?
Nein, auf keinen Fall. Denn uns steht ja immer noch nicht genug Energie zur Verfügung. Der Ausbau wird also weiter voranschreiten. Gleichzeitig werden die Anforderungen an die Systemdienlichkeit der Anlagen deutlich steigen, da sie zunehmend auch zur Stabilität des Netzes beitragen müssen. Die meisten gängigen Windenergieanlagen haben bisher lediglich netzfolgende Umrichter. Das heißt, sobald es zu gravierenden Schwankungen im Stromnetz kommt, trennen sich diese Anlagen vom Netz – und können daher die netzstabilisierenden Funktionen, auf die es in diesen Momenten entscheidend ankommt, nicht liefern. Netzbildende Anlagen hingegen können im Schwankungsfall die Spannungs- und Frequenzstabilität stützen. Im Falle eines Blackouts können sie auch im Inselbetrieb oder beim Netz-Wiederaufbau unterstützend eingebunden werden. Hierfür braucht es allerdings noch regulative Vorgaben und geeignete Geschäftsmodelle.
Das Interview führte Nicole Alexander, Bereich Forschungskommunikation beim Projektträger Jülich.