INTERVIEW
„Geräte sollen nicht einfach nur verkauft werden“
Professor Dr.-Ing. habil Joachim Seifert Mission Energiesystem 2045, Mission Wärmewende 2045
Entwicklungszeiten von Anlagen in der Gebäudeenergietechnik verkürzen und gleichzeitig deren praktischen Betrieb optimieren: Dies sind Ziele eines aktuell laufenden Forschungsvorhabens unter Leitung der Technischen Universität Dresden. Wie dies möglich ist, erklärt Professor Joachim Seifert im Gespräch.
Herr Seifert, fangen wir doch mal in der Zukunft an: Wie funktioniert dann, nach Umsetzung Ihrer Forschungsergebnisse, die Gerätewelt in der Gebäudetechnik?
Ich würde mir wünschen, dass Geräte nicht wie in der Vergangenheit einfach nur verkauft, sondern im gesamten Produktlebenszyklus überwacht und optimiert werden. Für die verschiedenen Geräte, also zum Beispiel eine Wärmepumpe oder eine Brennstoffzellen-Heizung, gibt es dann einen digitalen Zwilling, also quasi ein digitales Abbild der Anlage. Wenn an den Anlagen Probleme auftreten, wird der Anbieter darüber automatisch digital informiert. Dieser kann zeitnah einen Kundendienst losschicken, der zum Beispiel direkt das richtige Ersatzteil dabeihat. Werden Fehler frühzeitig erkannt, können also Kosten, auch durch Folgeschäden, eingespart werden. Gleichzeitig entsteht ein neues Service-Geschäftsmodell für die Anbieter.
Zusätzlich haben wir die Möglichkeit mit dem digitalen Zwilling viele weitere Produktgruppen zu integrieren. Es wird eine Plattform geschaffen, die auch über eine Schnittstelle zum Energieversorger verfügt. So entsteht ein Mehrwert für alle beteiligten Akteure: Die Energieversorger können vorausschauender planen und so zum Beispiel das Niederspannungsnetz besser auslasten. Gerätehersteller erhalten die Möglichkeit, ihre Anlagen kontinuierlich zu optimieren.
Wie kann das Vorhaben DZWI dazu beitragen, dass Gebäude emissionsärmer werden?
Mit dem von uns entwickelten digitalen Zwilling können Produkte über den gesamten Lebenszyklus betrachtet werden. Die Produkte stehen nicht mehr auf Standardeinstellung, sondern sie werden an die realen Gegebenheiten automatisch angepasst. Momentan werden die Systeme meist noch mit einem bestimmten Set von Parametern ausgeliefert. Diese passen nicht immer auf alle Gebäude gleichermaßen gut. Liegen für die ausgelieferten Geräte, wie Lüftungsanlagen oder Wärmepumpen, auch deren digitale Zwillinge vor, können wir die Anlagen passgenau, auch im laufenden Betrieb, für das jeweilige Gebäude und den dortigen Energiebedarf einstellen. Somit kann Energie eingespart werden. In der Praxis werden Fehler an Geräten häufig über einen längeren Zeitraum nicht wahrgenommen. Die Anlagen laufen dann nicht mit den optimalen Betriebseinstellungen. Bei dem von uns entwickelten System sind, vereinfacht gesagt, Alarmfunktionsketten eingebaut und wir können sehr schnell bei Problemen reagieren. Dies führt langfristig zu Energieeinsparungen und nicht zuletzt zu einer höheren Akzeptanz für die entsprechenden Produkte.
Aktuell arbeiten Sie in Ihrem Forschungsprojekt daran, die „schöne, neue Gerätewelt“ zu schaffen. Was sind die ersten Schritte?
Wir haben zunächst mit Wärmepumpen und Brennstoffzellen zwei Anwendungsbeispiele aus der Praxis definiert. Diese bilden wir mit numerischen Modellen ab. Man kann sich das als eine Art Simulation vorstellen, die alle wichtigen Komponenten darstellt. Bei der Wärmepumpe sind dies zum Beispiel Verdichter, Expansionsventil oder Wärmeüberträger. Allgemein gesprochen entwickeln wir eine cloudbasierte Softwarestruktur zur Abbildung von realen Geräten bis in die Einzelkomponenten. Hier fließen auch Erkenntnisse ein, die auf künstlicher Intelligenz basieren. Grundlage hierfür sind Feldtestdaten, die ausgewertet, optimiert und verglichen werden. Langfristig berücksichtigen wir auch Erkenntnisse, die wir bei der Durchführung von Messungen und Versuchen mit Hardware-in-the Loop-Einheiten gewinnen. Mit diesem Verfahren erhalten wir eine nahezu exakte Beschreibung des dyn amischen und statischen Verhaltens der Anlagen, zum Beispiel des Kältekreislaufs einer Wärmepumpe.
Wer profitiert von den Erkenntnissen?
Alle Akteure, die sich mit Technologien rund um Heizung, Lüftung und Klima befassen, können einen Nutzen aus unseren Untersuchungen ziehen. In erster Linie sind dies die Hersteller der Anlagen. Sie können den gesamten Entwicklungsprozess ihrer Produkte digital begleiten und sparen so Kosten und Zeit. Gleichzeitig entstehen neue Geschäftsmodelle. Die automatisierten Fehlermeldungen der Geräte werden in einer Art Servicecenter einlaufen und müssen bearbeitet werden. Diese Dienstleistung kann der Werkskundendienst oder der geschulte Fachhandwerker zusätzlich anbieten. Auch Netzbetreiber profitieren von der Digitalisierung, da Schnittstellen zu den Stromnetzen entstehen, um die Anlagen bestmöglich in das Energiesystem zu integrieren.
Stellen Sie die Ergebnisse öffentlich zur Verfügung?
Ja, wir werden eine Open Source Plattform schaffen. Momentan installieren wir zunächst die Kommunikationsstruktur, basierend auf den Produkten Wärmepumpe und Brennstoffzelle. Diese Struktur können langfristig andere Anwender frei verfügbar nutzen und um weitere Produkte und deren digitale Zwillinge ergänzen. Das können beispielsweise auch Anlagen aus der elektrischen Energietechnik oder lüftungstechnische Systeme sein. Hierfür müssten dann numerische Modelle erstellt und in die Open Source Plattform integriert werden. Die Basis dafür entwickeln wir gerade in unserem Forschungsvorhaben DZWI.
Das Interview führte Birgit Schneider, Wissenschaftsjournalistin beim Projektträger Jülich.