Reallabor der Energiewende JenErgieReal
Städte ganzheitlich mit Energie versorgen
Um Städte nachhaltig mit Strom und Wärme zu versorgen, müssen alle Bereiche, in denen Energie erzeugt und verbraucht wird, übergreifend betrachtet werden. Hier setzt das Reallabor der Energiewende JenErgieReal an. Expertinnen und Experten zeigen in ausgewählten Quartieren in Jena, wie Energieerzeuger, -speicher und -verbraucher intelligent miteinander verknüpft werden können.
In den vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Reallaboren der Energiewende werden zukunftsweisende Projekte im industriellen Maßstab umgesetzt. Sie sollen den Praxistransfer von innovativen Technologien und Verfahren für die Energiewende unterstützen und den Umbau des deutschen Energiesystems beschleunigen. JenErgieReal wird vom BMWK über eine Laufzeit von fünf Jahren mit mehr als 20 Millionen Euro gefördert.
„Mit JenErgieReal fördert das BMWK ein Reallabor in Ostdeutschland, das darstellen soll, wie die Transformation urbaner Energiesysteme und die nachhaltige Versorgung von Städten mit Strom und Wärme gelingen kann“, betonte Stefan Wenzel, parlamentarischer Staatssekretär des BMWK, in einer Pressemitteilung zum Start des Projektes. Mit der feierlichen Übergabe des Zuwendungsbescheids ist JenErgieReal Anfang November 2022 offiziell gestartet.
Erzeuger, Speicher und Verbraucher intelligent verknüpfen
Übergeordnetes Ziel von JenErgieReal ist es zu zeigen, wie die Sektorenkopplung durch ein virtuelles Kraftwerk zu einer kostengünstigen Energiewende in Städten beitragen kann. Infrastruktur und Akteure des urbanen Energiesystems werden dabei gemeinsam betrachtet. Im Vordergrund stehen die Netzdienlichkeit und die Stabilisierung der Netze ohne zusätzlichen Netzausbau. Um regenerative Energiequellen und -speicher sowie die Haupttreiber des Energieverbrauchs in Städten – Verkehr, Industrie, Gewerbe und Wohnen – intelligent miteinander zu verknüpfen, entwickeln und nutzen die Expertinnen und Experten innovative virtuelle Kraftwerksstrukturen. Hierzu werden die Projektpartner in der Stadt regenerative Energiequellen aus- und intelligente Speicherlösungen aufbauen sowie alle Verbräuche in eine übergreifende Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) -Plattform integrieren.
Elektrische Großspeichersysteme sowie Photovoltaik- und Solarthermieanlagen verschiedener Größe werden strategisch in der Stadt verteilt. Die gewählten Standorte bilden dabei verschiedene Sektoren des städtischen Energiesystems ab. Quartiersspeicher oder netzdienliche Energiespeicher werden etwa an Ladesäulen errichtet oder mit Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen kombiniert. Elektrofahrzeuge werden als kurzzeitige, bewegliche Energiespeicher in das System integriert. Ein zusätzlicher Gewerbespeicher soll darüber hinaus zukünftig die Schnellladung von E-Fahrzeugen ermöglichen.
Einen weiteren Schwerpunkt bei der Sektorenkopplung legen die Forschenden auf die thermische Energie, indem sie Wärme dezentral erzeugen und Verlustwärme nachnutzen. So sollen etwa die beim Schnellladeprozess entstehenden Wärmeverluste nutzbar gemacht und in einem dezentralen Wärmesystem zur Verfügung gestellt werden, um Wärme- und sonstige Energieverluste zu minimieren.
Flexibel skalieren in Echtzeit
Eine digitale Infrastruktur vernetzt die verschiedenen Erzeuger, Speicher und Verbraucher. Der Vorteil des so entstehenden virtuellen Kraftwerks: Neben der optimierten Leistungsfähigkeit zeichnet es sich durch eine flexible Skalierbarkeit in Echtzeit aus. Abhängig von der jeweiligen Situation kann die Lastverteilung des Netzes mit den verschiedenen Akteuren – von Erzeugern über elektrische Großspeicher und Elektromobilität bis hin zum Endverbraucher – hochflexibel gesteuert werden. Photovoltaik-Anlagen können beispielsweise eingesetzt werden, um Energieverluste des Stromnetzes und der -speicher auszugleichen.
Dabei planen die Projektpartner auch für die Zukunft und berücksichtigen Vernetzungsstrategien im Sinne einer Smart City (vergleiche auch Smart Building). Hierzu setzten sie auch auf künstliche Intelligenz und bauen eine entsprechende Plattform mit einer hierfür optimierten Hardware- und Software-Architektur auf. Für den neuen Virtualisierungsansatz entwickeln die Forschenden ein mit dem Eichrecht konformes Messsystem und binden dieses in die IKT-Infrastruktur ein. So kann Gleichstrom unterschiedlicher Stärke in Echtzeit abgerechnet und es können automatisierte und individuelle Mikrokontrakte realisiert werden. Die übliche energiewirtschaftliche Viertelstunden-Messung wird dadurch aufgebrochen. Auch wird eine abrechnungsfähige Schnellladung von Elektromobilen und elektrischen Speichersystemen – unabhängig von Größe, Ladezustand und zeitlicher Verfügbarkeit – möglich.
Menschen als Mittelpunkt der intelligenten Stadt
Neben den technischen Aspekten nimmt bei JenErgieReal das so genannte regulatorische Lernen eine wichtige Rolle ein. Hierbei möchten die Forschenden herausfinden, wie sich der Rechtsrahmen ändern muss, damit die energie- und klimapolitischen Ziele besser erreicht werden können. Darüber hinaus sollen mit dem Reallabor der Energiewende auch die gesellschaftlichen und sozialen Aspekte sowie die Auswirkungen der Digitalisierung, insbesondere im Quartiersumfeld, untersucht werden. So soll die Identifikation des Menschen als Mittelpunkt des smarten Quartiers gestärkt und die Rahmenbedingungen für eine zukunftsgerechte, integrierte Stadtentwicklung geschaffen werden. Alle relevanten städtischen Funktionen sollen dabei als Querschnittsthemen mitberücksichtigt werden.
Die interdisziplinäre Ausrichtung des Reallabors wird auch bei den beteiligten Projektpartnern deutlich. So sind neben zwei Versorgern und Netzbetreibern, einem Industrieunternehmen und zwei Hochschulen auch die Stadt Jena, die Wohnungswirtschaft und ein Verband aus dem sozialen Bereich beteiligt.
Durch seinen ganzheitlichen Ansatz soll das Reallabor der Energiewende in Jena, einer Stadt mit über 100.000 Einwohnern, als Blaupause für einen nachhaltigen Umbau von urbanen Räumen, auch Relevanz über die thüringische Großstadt hinaus entfalten. Die hier entwickelten und angewandten Ansätze können in Zukunft als Inspiration für Städte in ganz Deutschland herangezogen werden. Insbesondere die übergreifende Betrachtung aller Teile des urbanen Energiesystems, vom Erzeuger bis zum Endverbraucher, könnte Jena zu einem Pilotstandort für die Transformation der Energieversorgung in Städten machen. (lh)