Mit dem Einsatz von HTSL könnten Stromverluste industrieller Anlagen deutlich reduziert und ihr Betrieb effizienter werden. © Viktor Stark
Mit dem Einsatz von HTSL könnten Stromverluste industrieller Anlagen deutlich reduziert und ihr Betrieb effizienter werden.

Hochtemperatursupraleiter in der Aluminiumindustrie
Supraleitendes Hochstromsystem überträgt verlustfrei fast 200.000 Ampere Gleichstrom

01.03.2021 | Aktualisiert am: 27.11.2024

In DEMO200 haben Forschende eine HTSL-Versuchsanlage für die Aluminiumindustrie entwickelt und jetzt in den Betrieb gebracht. Supraleitende Stromschienen können im Vergleich zu konventionellen Stromschienen Energieverluste um bis zu 90 Prozent reduzieren. Eine Technologie, die auch für andere  industrielle Anwendungen mit hohen Strömen interessant ist.

Viele Industrieprozesse wie die Herstellung von Aluminium oder Stahl sind auf hohe elektrische Gleichströme angewiesen, deren Stromstärke im zwei- und dreistelligen Kiloampere-Bereich (kA) liegt. Aktuell versorgen massive und starre Stromschienensysteme die Prozessanlagen mit Strom. Sie produzieren dabei Abwärme, erfahren Energieverluste aufgrund des elektrischen Widerstands und benötigen viel Platz. Hochtemperatursupraleiter (HTSL) können eine Lösung bieten, da sie hohe Gleichströme nahezu verlustfrei übertragen. Im Forschungsprojekt DEMO200 ist es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern jetzt gelungen, elektrischen Strom von fast 200.000 Ampere durch eine supraleitende Stromschiene zu leiten.

„Der Betrieb der Stromzuführung mit der supraleitenden Stromschiene ist ein echter Meilenstein. Wir haben nicht nur einen Strom von 180.000 Ampere erreicht, sondern konnten sogar in Grenzwerttests auf 190.000 Ampere erhöhen – ein bisher weltweit einzigartiger Erfolg in der angewandten Supraleitung.“
Dr. Wolfgang Reiser, Vision Electric Super Conductors (VESC)

HTSL sind in der Anwendung bereits bis zu einer Stromstärke von 20 Kiloampere erprobt – so beispielsweise im Forschungsprojekt 3S – SupraStromSchiene. Der Sprung um den Faktor zehn auf fast 200 Kiloampere ist im September 2024 erstmals mit dem Forschungsprojekt „Neuartiges Supraleitendes Hochstromsystem für 200kA DC“, kurz: DEMO200, erreicht worden.

Mit Hochtemperatursupraleitern (HTSL) …

… lassen sich große Mengen Energie und CO2 einsparen. Im Gegensatz zu konventionellen Stromsystemen können sie in flüssigem Stickstoff bei ihrer Betriebstemperatur von 70 Kelvin (rund minus 200 Grad Celsius) hohe Gleichströme ohne elektrischen Widerstand und somit ohne elektrische Verluste leiten. HTSL geben keine Wärme ab, wie sie bei konventionellen Stromschienen aus Aluminium und Kupfer anfällt. Zudem bietet die HTSL-Technologie ökologische sowie landschaftsbauliche Vorteile: Sie benötigen keine umweltfeindlichen Isoliergase zur Kühlung, belasten nicht durch elektromagnetische Felder und können auf deutlich geringerer Fläche angewendet werden. Damit kann die HTSL-Technologie künftig auf eine hohe Akzeptanz bei Bürgerinnen und Bürgern hoffen.

Aufbauend auf den Ergebnissen des 20 Kiloampere-Forschungsprojekts 3S, hat das Wissenschaftsteam ein HTSL-Stromschienensystem der zweiten Generation aus Yttrium-Barium-Kupfer-Oxid -Bandleitern (YBCO) entwickelt. Dieses wird mit Stickstoff bei 70 Kelvin (K) gekühlt und überträgt Gleichstrom von fast 200 Kiloampere nahezu verlustfrei. Die DEMO200-Versuchsanlage ist modular zusammengesetzt und seit September 2024 im TRIMET-Aluminiumwerk in Voerde im Einsatz. Sie besteht aus zwei Stromzuführungen und der dazwischenliegenden supraleitenden Stromschiene, die mit einem Durchmesser von unter 30 Zentimetern außerordentlich kompakt ist.

Entwickler und Projektpartner der DEMO200-Versuchsanlage sind das Unternehmen Vision Electric Super Conductors (VESC), die Firma Messer und das Institut für Technische Physik vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

In einer Aluminiumhütte werden sehr hohe Gleichstromstärken benötigt, da Primäraluminium elektrolytisch hergestellt wird. Das bedeutet, an den Elektroden im Schmelzofen findet eine Redoxreaktion statt, die durch Strom erzwungen wird und bei sehr hohen Temperaturen abläuft. 

Eine abgenutzte, noch glühende Anode wird aus einem Aluminium-Schmelzofen entfernt. © Viktor Stark
Aus einem Aluminium-Schmelzofen der TRIMET Aluminiumhütte wird die abgenutzte, noch glühende Anode entfernt. Die Schmelzanlagen werden aktuell über massive und starre Stromschienen mit Energie versorgt.

Bei der TRIMET sind viele Dutzend Aluminium-Schmelzöfen in einer Reihe hintereinandergeschaltet. Die Produktionshallen auf dem Gelände in Voerde sind dazu mehrere hundert Meter lang. In DEMO200 stellt TRIMET als assozierter Projektpartner die Anforderungen an die HTSL-Stromschiene und überprüft diese im Versuchsaufbau. Hier werden wichtige Erkenntnisse für den industriellen Einsatz erwartet.

Aktuell werden in einer TRIMET-Aluminiumhütte in Hamburg konventionelle Stromschienen eingesetzt. Deren elektrische Verluste liegen bei rund 20.000 Megawattstunden (MWh) jährlich. Im Anschluss an das DEMO200-Projekt will das Wissenschaftsteam eine 600 m lange supraleitende Stromschiene parallel zu einer bereits existierenden Aluminiumschiene verlegen, sodass die derzeit noch anfallenden Leitungsverluste um circa 90 Prozent reduziert werden können. Ein Vergleich: Die eingesparte Strommenge reicht aus, um eine Kleinstadt mit rund 5000 Haushalten mit Energie zu versorgen. Die verbleibenden Verluste von fünf bis zehn Prozent sind auf die HTSL-Stromzuführung sowie den Betrieb der Kältemaschinen zurückzuführen.

Die Aluminiumindustrie in Deutschland

Aluminium ist ein sehr vielseitiger Werkstoff und kommt in zahlreichen Anwendungsgebieten vor: als Alufolie im Alltag, als Komponenten im Auto, im Ladekabel eines Mobiltelefons oder in den Elementen einer Windkraftanlage. Als Leichtmetall weist es eine relativ niedrige Dichte auf. Laut Aluminium Deutschland e. V. (AD) gibt es in Deutschland rund 250 Betriebe mit rund 62.000 Beschäftigten, die Aluminium herstellen oder verarbeiten. Allein 2023 produzierte die deutsche Aluminiumindustrie etwa 200.000 Tonnen Aluminium sowie 2,8 Millionen Tonnen Recyclingaluminium und erwirtschaftete damit einen Umsatz von rund 24 Milliarden Euro. Rund 44 Prozent der deutschen Aluminiumproduktion wird exportiert, was die Aluminiumindustrie zu einer wirtschaftlich starken Branche macht.

Maßtabsgetreuer Gößenvergleich eines Supraleiters und Aluminiumleitern einer konventionellen Stromschiene. Der Supraleiter ist um ein vielfaches kleiner. © Vision Electric Super Conductors GmbH
Maßstabsgetreuer Größenvergleich: Ein Supraleiter (links) ist deutlich kompakter und benötigt weniger Material als die Aluminiumleiter einer konventionellen Stromschiene (rechts).

Materialeinsparungen machen die Stromübertragung noch ökologischer

Neben der direkten Energieeinsparung in der Anwendung zeigt die HTSL-Technologie weitere energetische wie auch ökologische Vorteile. Im Vergleich zu konventionellen Leitern aus Aluminium und Kupfer können mit HTSL zwischen 50 und 90 Prozent Material eingespart werden.

Ebenso verringert sich bei Hochtemperatursupraleitern der Platzbedarf in der Betriebshalle. HTSL sind sehr kompakt und in einem geschlossenen System inklusive der Kühlung aufgebaut. Im Gegensatz zu anderen Systemen sorgt die direkte Kühlung der Leiter dafür, dass sie keine Wärme in die Umgebung abgeben, die im laufenden Betrieb abgeführt werden muss.

Das Forschungsprojekt DEMO200 ist ein wichtiger Baustein in der HTSL-Forschung und kann helfen, zukünftig weitere HTSL-Anwendungsgebiete zu erschließen: Vorstellbar wäre etwa, Strom aus erneuerbaren Energien deutlich effizienter ins Netz einzuspeisen. Dort ginge es darum, Gleichstrom mit einer Stromstärke von 100 bis 200 Kiloampere verlustfrei auf Mittelspannungsniveau zu übertragen.

Modulares HTSL-System mit YBCO-Bandleitern und Kältesystem für widerstandsfreie Stromübertragung

Die Stromschienen und Stromzuführung sind bei DEMO200 möglichst kompakt, energie- und materialeffizient sowie modular aufgebaut. Damit können einerseits Konstruktionsansätze ermittelt werden, die die genannten Potenziale der HTSL-Technologie optimal ausschöpfen. Andererseits kann so die Produktion flexibler gestaltet werden, was eine schnellere Reaktion auf veränderte Produktionsbedingungen erleichtert.

Die Hauptanforderung an das Kältesystem bestand darin, mithilfe von flüssigem Stickstoff die YBCO-Bandleiter zu kühlen und dazu konstant eine Kühltemperatur von 70 Kelvin bereitzustellen. Nur so ist eine nahezu widerstandsfreie Stromübertragung möglich.

Mit dem Versuchsaufbau in der Aluminiumhütte in Voerde kann das Team von DEMO200 insbesondere reale Betriebszustände des HTSL-Systems abbilden und mit der parallellaufenden Produktion im aktuellen Betrieb vergleichen. Die systemrelevanten Daten dienen dazu, Anwendungsgrenzen des modularen Stromschienen- und Kältesystems herauszufinden und zu analysieren sowie ein robustes Gesamtsystem zu konzipieren, das zukünftig für Aluminiumhütten eingesetzt werden kann. (ln/az)

Supraleitende Hochstromsysteme auch für Sektorkopplung und erneuerbare Energien geeignet

Die verlustfreie Übertragung von hohen Gleichströmen kann zukünftig großes Potenzial bieten, um erneuerbare Energien an das Stromnetz anzubinden. Bei aktuellen Systemen wird die gewonnene Energie von Solarparks oder Windkraftanlagen dezentral von Gleichstrom in Wechselstrom gewandelt. Erst danach wird sie über mehrere Kilometer bis zum Netzeinspeisungspunkt geleitet, dort ins Stromnetz eingespeist und wiederum zur Nutzung weitergeleitet. Dabei geht Energie verloren. In Zukunft könnten neu entwickelte HTSL-Systeme im Hochstrombereich die gewonnene Energie erst sammeln und noch als Gleichstrom verlustfrei zum Netzanschlusspunkt transportieren. Dort wird sie in einem zentralen Wechselrichter effizient umgewandelt und ins Netz eingespeist. Neben der energieeffizienten Stromübertragung sind die HTSL-Kabel auch aufgrund ihrer kompakten Bauweise vorteilhaft: Stromtrassen beispielsweise im urbanen Raum würden deutlich weniger Platz benötigen und sich einfacher in die Landschaft integrieren lassen. Ebenso ist eine neue HTSL-Technologie im Hochstrombereich dafür prädestiniert, ökologische und ökonomische Transportsysteme weiterzuentwickeln.

Das Forschungsprojekt DEMO200 kann mit neu entwickelten Komponenten und erweitertem Know-How über Anwendungsmöglichkeiten und -grenzen wesentlich zu zukünftigen HTSL-Entwicklungen beitragen.